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Die Plantage: Roman (German Edition)

Die Plantage: Roman (German Edition)

Titel: Die Plantage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Tarley
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Quinn zurück, er kannte Roscoes jähe Gewalttätigkeit. Aber Roscoe rührte sich nicht von der Stelle, er sah ihn nur fassungslos an. Langsam dämmerte es Quinn, dass er ihn durch seine Worte schwer getroffen haben musste; so schwer, dass er sich nicht einmal wehrte. Aber was hatte er denn gesagt? Eigentlich, fand er, war er noch recht milde mit Roscoe ins Gericht gegangen.
    Weil Roscoe noch immer nichts erwidert, sagte Quinn in nachsichtigerem Ton: »Was ist los mit Ihnen, Roscoe? Ich meine, so brutal, so gewalttätig wie Sie es sind, kommt doch niemand zur Welt!«
    Was immer Quinn erwartet hatte, Ausflüchte, Anklagen, Beschimpfungen, nichts dergleichen geschah. Roscoe fuhr sich kurz übers Gesicht, danach hatte er wieder den teilnahmslosen Ausdruck angenommen, den Quinn so gut an ihm kannte.
    »Was weißt du von meiner Welt, Gabriel Quinn?«, sagte er, wandte sich ab und ging davon, so anmutig und mit unnachahmlicher Leichtigkeit, dass man den staubigen Boden unter seinen Füßen vergaß.
    Quinn hörte ein Rascheln; Zadia war zurückgekommen.
    »Hast du dich vor Roscoe versteckt?«
    Sie nickte.
    Es war ihm nicht entgangen, dass sie Roscoe nach Möglichkeit aus dem Weg ging. Er setzte sich zu ihr auf den Strohballen, nahm ihre schmale Hand. »Ich verstehe, dass du ihm nicht traust. Auch die anderen hier mögen ihn nicht.«
    »Der Herr mag ihn. Mass’a Reed hat ihn sehr gern.«
    »Na ja, sie kennen sich aus dem Krieg, das verbindet. Der Captain sieht ihm manches nach.«
    »Sie sind ein Liebespaar, Gab. Weißt du das nicht?«
    »Was? Nein! Woher soll ich das denn wissen!« Er zog die Brauen zusammen. »Wie hast du davon erfahren?«
    »Castor hat’s mir gesagt.«
    Was Zadia ihm so selbstverständlich erzählte, wusste vermutlich jeder auf Hollow Park. Quinn machte sich über diese Dinge wenig Gedanken. Männerliebe gab es häufig, in Roscoes Fall wunderte es ihn nicht. Aber der Captain? Es würde natürlich Reeds Schock erklären, als ihn die Nachricht von Roscoes Tod erreichte; bei ihrem Wiedersehen hatte Quinn gespürt, das war mehr als Freundschaft. »Sag mir, Zadia, was hat Castor dir noch über die beiden erzählt?«
    »Er sagt, Mr. Roscoe hat schon vorm Krieg hier gewohnt. Er hat sich um den Herrn gekümmert.«
    »Warum? War er krank?«
    »Manchmal war er sehr krank, sagt Castor. Nur sein Freund konnte ihm dann helfen. Als Mr. Roscoe fort war, ging es Mass’a Reed immer schlechter.«
    »Allerdings ging es ihm schlecht!«, sagte Quinn und erschauerte beim Gedanken an Prudence’ Leiche.
    Aber so weit würde es nicht mehr kommen, er konnte dafür sorgen, dass Reeds kranker Geist zur Ruhe kam. Wenn nur Roscoe den Frieden nicht störte! Seltsam, dass Reed ihn in allem gewähren ließ … Auf einmal kam ihm ein beunruhigender Gedanke: Dr. Ingham hatte gesagt, dass bei einer Wesensspaltung der aggressive Anteil mit der Zeit bestimmend wurde. Hieße das nicht, dass ein Psychopath wie Reed sich zunehmend so verhielte, wie es dem mörderischen Teil seiner Persönlichkeit entgegenkam? Denn genau das tat Reed: Indem er sich einen Chaoten wie Roscoe zum Vertrauten nahm, eliminierte er die mäßigenden Einflüsse seiner Umgebung, und dem Willen seiner dunklen Wesenshälfte konnte nicht mehr entgegengesteuert werden.
    Ingham hatte recht: Quinn hatte die Situation nicht mehr im Griff.

45.
    Tyler kam zur frühen Abendstunde zurück in den Club. Dynamisch durchquerte er die Empfangshalle und war schon am Treppenaufgang, als der Portier ihm durch dezentes Räuspern bedeutete, noch einmal zur Loge zurückzukommen.
    »Was gibt’s, Stevens?«
    »Sir, Sie haben Besuch. Ich bat den Gentleman, in der Bar auf Sie zu warten. Hier, Mr. Tyler, seine Karte.«
    Doch Tyler brauchte die Karte nicht, er hatte den Besucher im Durchgang zur Bar erblickt. Nein, er wollte es nicht wahrhaben! Der Mann kam schon auf ihn zu, groß, hager, dunkel gekleidet. Die Stockspitze klang hell auf dem Marmor der Halle.
    »Sie sind es tatsächlich!«, stieß Tyler hervor. »Wie geht es Ihnen, Mr. Marshall?«
    »Tyler! Ich freue mich, Sie zu sehen.« Für Sekunden herrschte Schweigen, bis William bemerkte: »Sieht nicht so aus, als hätten Sie mit meiner Rückkehr gerechnet?«
    »Wenn ich mich recht erinnere, klang Ihr Abschied ziemlich endgültig. Aber wo kommen Sie her, doch sicher nicht von der Armee? Sie sehen fabelhaft aus, wenn ich das sagen darf.«
    »Und Sie sehen aus, als könnten Sie ein ordentliches Dinner vertragen, Tyler. Was halten Sie davon,

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