Die Plantage: Roman (German Edition)
seinem makellosen Weg der Vergeltung. Nicht jede Frage ließ sich so klar beantworten wie die nach seiner Ehre als Soldat. Ingham hatteihm den Gedanken von Reeds Wahnsinn in den Kopf gesetzt. Entspräche das der Wahrheit, wäre Reed also wirklich geistesgestört, würde Williams Racheplan hinfällig, denn einem Irren durfte er nichts antun, ohne sich vor dem Leben und vor sich selbst zu entehren.
Was aber, wenn Ingham bluffte? Der Arzt hatte ein erklärtes Interesse, Reed als Täter im Mordfall von Elverking zu präsentieren, um die Verurteilung der unschuldigen Sklaven abzuwenden. Womöglich hatte er Reed darum als geisteskrank dargestellt, weil er wusste, dass er dann von William nichts zu befürchten hätte. Inzwischen hatte William sich umgehört; Reed war in der Gegend ein geachteter Mann, sein Anwesen Hollow Park galt als exzellent geführtes Unternehmen, niemand redete nachteilig über ihn. Wäre Reed so schwer geisteskrank, wie Ingham geschildert hatte, wäre es nicht längst jemandem aufgefallen?
Der Diener hatte begonnen, ihn mit einem Schwamm abzureiben. Er dosierte mit erfahrener Hand feste Striche über Rücken, Arme und Beine, sachte Striche über die Narbenhaut der Brust. Anschließend breitete er weiche Tücher über eine Steinbank, William stieg aus dem Becken, legte sich auf die Bank und ließ sich massieren. Halbwach merkte er noch, wie der Schwarze ihn mit einem Tuch bedeckte und ging.
»Sie wollen zu ihm? Lassen Sie es bleiben, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«
Abrupt setzte William sich auf, als ihm aus der Erinnerung das Bild Roscoes im blaugoldenen Admiralsrock vor Augen trat. Aber natürlich, Roscoe wusste, was mit seinem Freund los war: »Andere hatten weniger Glück«, hatte er gesagt und vielleicht damit andeuten wollen, dass schon mancher Reeds Irrsinn zum Opfer gefallen war?
Nun, sicher würde er Roscoe auf Hollow Park antreffen, das machte es einfacher, denn dann konnte er ihn fragen, ob Reedverrückt war oder nicht. Er musste zugeben, die Vorstellung, dass Roscoe entscheiden würde, ob sein Freund leben oder sterben sollte, entbehrte nicht eines gewissen Reizes.
46.
Das Mädchen hatte die Koffer ins Schlafzimmer gebracht. Sie legte die neuen Kleider sorgfältig zusammen und begann, sie mit der feinen Wäsche, den Miedern, Röcken und Schuhen einzupacken. Antonia ging zwischen Salon und Schlafzimmer hin und her und sammelte Kleinigkeiten ein. Vom Frisiertisch nahm sie eine Perlenschnur und band sie sich um den Hals.
»Du kannst alles Übrige in die Koffer packen«, sagte sie nach einem kurzen Blick durchs Zimmer und ging in ihren Salon. Der Schreibtisch war abgeräumt bis auf einen Stapel Briefe. Sie setzte sich und sortierte die Korrespondenz, Privates tat sie in ihre Handtasche, Geschäftsbriefe legte sie in eine Mappe, die Tyler zur Bank mitnehmen sollte. Bei der Durchsicht eines Konvoluts von Dokumenten, das an Ashley & Bolton adressiert war, fiel ihr ein Brief des Londoner Notars Clarke, der Longuinius’ Testament eröffnet hatte, in die Hände.
Nie würde sie ihr Hochgefühl vergessen, als Tyler ihr gestern die Nachricht von der Erbschaft überbrachte. Er allerdings schien über ihren unverhofften Wohlstand nur mäßig erfreut; fast konnte man den Eindruck gewinnen, es wäre ihm lieber, wenn sie in finanziellen Dingen weiterhin auf sein kaufmännisches Geschick angewiesen wäre, anstatt sie in diesem Geldregen zu sehen. Als er ihr dann kundtat, dass Joshua gegen Kaution aus dem Gefängnis freikommen sollte, war sie vollends glücklich. Auch wenn der Vorwurf des Landfriedensbruchs noch weiter über Joshua schwebte, war sie beruhigt, ihn an ihrer Seite zu wissen, wenn sie nach Legacy zurückkehrte.
Clarkes Brief in der Hand, dachte sie an den verstorbenen Longuinius. Er war es, der sie ans Lesen gebracht, der ihren Intellekt gefördert und für die Ideen der Aufklärung geöffnet hatte. Als empathischer Verfechter von Frieden und Freiheit verabscheute er den Krieg als eine Geißel, die den Menschen vor allem in geistiger Knechtschaft hielt. Durch sein Erbe hatte er Antonia von allen irdischen Sorgen befreit, und sie konnte ihm nicht einmal danken.
Sie entfaltete den Brief des Notars und begann zu lesen. Der erste Passus behandelte, wie ihr Tyler bereits ausführlich berichtet hatte, das ihr zugefallene Erbe sämtlicher Vermögenswerte. Dann las sie den nächsten Passus, hielt überrascht inne, las ihn ein zweites Mal: Hier stand, der Erbe von Longuinius’ Grundbesitz in
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