Die Plantage: Roman (German Edition)
Amerika und neuer Eigentümer des Anwesens Serenity Heights wäre William Spencer! Kopfschüttelnd las sie den Absatz noch einmal, den Feingehalt der wenigen Zeilen wägend, die zweifelsfrei bezeugten, dass Julien Longuinius, Mitbegründer der amerikanischen Unabhängigkeit, seinen Wohnsitz im Herzen des Landes dem bestgehassten britischen Kommandeur, dem berüchtigten Schlächter Spencer, vermacht hatte.
Was hatte Longuinius sich dabei gedacht? Von Anfang an hatte sie mit Erstaunen registriert, dass er für William eine besondere Sympathie an den Tag legte, wohl wissend, dass dieser Mann jahrelang amerikanische Patrioten verfolgt hatte und die repressive Machtpolitik Englands befürwortete, die Longuinius als liberaler Staatsmann verabscheute. Des ungeachtet hatte er William in sein Haus eingeladen, hatte mit ihm korrespondiert und ihn in seinen letzten Lebensstunden zu sich gerufen. Nun erst wurde Antonia bewusst, wie groß seine Zuneigung für William gewesen sein musste, dass er ihm Serenity Heights hinterlassen hatte, diesen einzigartigen Ort in den High Hills, und ihn dadurch auch vor der Welt zu seinem Erben machte.
Doch damit nicht genug, in einem weiteren Passus des Schreibens wurden als Erben die Kinder aus einer Verbindungzwischen ihr und William genannt; auch ihnen hatte Longuinius einen Teil seines Vermögens hinterlassen. Sie ließ das Blatt sinken. Wills Kind, ihr Baby! Als Longuinius sie damals im Planters Club zusammen sah, hatte er sofort gespürt, dass William die Liebe ihres Lebens war. Er hatte sie bestärkt, ihrer Liebe zu vertrauen und ihn gehen zu lassen, wenn er denn gehen musste, um ihn irgendwann wieder in die Arme zu schließen. Und sie hatte ihn gehen lassen, hatte gewartet und versucht, an seine Rückkehr zu glauben. Longuinius hatte William vertraut, warum hatte sie es nicht gekonnt?
Charlene stand in der Tür. Sie hatte zweimal angeklopft, doch Antonia rührte sich nicht und sah mit abwesendem Ausdruck vor sich hin. Charlene kannte diesen Ausdruck an ihr, genau so hatte Antonia in den ersten Wochen nach Williams Abreise ausgesehen. Nachdem sie Tylers Antrag angenommen hatte, verlor sich dieser Ausdruck allmählich, und Charlene hatte gehofft, die Zeit der Trauer wäre vergangen. Doch jetzt erschien ihr Antonia auf einmal wieder matt und glanzlos. »Geht es Ihnen gut, Miss Antonia?«
»Oh, Charlene, natürlich, es geht mir gut. Nur möchte ich endlich nach Hause!«
»Na, was meinen Sie, was wir die ganze Zeit tun, Missy? Sobald wir Ihre Sachen gepackt haben, können wir abfahren.«
Wenn es denn nur Heimweh war! Auch Charlene sehnte sich nach der Plantage, den vertrauten Gesichtern daheim. Schon über einen Monat waren sie in Charles Town, seit dem Tag von Joshuas Festnahme. Charlene hatte in der Nähe ihres Sohnes bleiben wollen, und Antonia wurde von Tyler hier festgehalten, der sie verständlicherweise nicht fortlassen wollte. Die Leute von Legacy hielten die Dinge einigermaßen am Laufen. Noah versorgte die Stallungen, während die Vormänner Allan und Earl mit ihren Farmarbeitern die Ernte einbrachten. Trotzdem kamen täglich Briefe mit Anfragen, was wann und wie gemacht werden sollte. Auch wenn Antonia Tylers verliebteAufmerksamkeit zu genießen schien, so wusste Charlene, dass sie in Gedanken mehr auf Legacy weilte als in der Stadt. Das war nur normal, sie sollte schließlich bald ein Kind bekommen, natürlich sehnte sich eine Frau in solcher Lage nach ihrem Zuhause … Und doch, fand Charlene, irgendetwas stimmte nicht.
Als Joshua am Nachmittag vom Gefängnis zurückkam, hatte Antonia ihn mitten auf dem Vorplatz selig umarmt und dadurch alle in Verlegenheit gebracht, besonders den feinen Mr. Tyler, der sich etwas fehl am Platze fühlte und bald ging. Jedenfalls war Antonia glücklich, sogar Miss Lydia wurde zeitweilig von der familiären Hochstimmung angesteckt. Aber nun, kaum eine Stunde später, fand sie Antonia niedergeschlagen in ihrem Zimmer, und ihre Freude über die Heimfahrt schien dahin.
»Sie sollten sich allmählich reisefertig machen«, sagte Charlene, um sie vom Grübeln abzulenken. »Ich schicke Joshua rauf, damit er den Papierkram für Sie zusammenpackt.«
»Ach, ich bin fast fertig, nur ein paar Briefe muss ich noch sortieren.«
»Richtig, da kam noch ein Brief !« Charlene fischte aus der Schürzentasche ein ungesiegeltes Schreiben und legte es auf den Schreibtisch. »Der Gerichtsdiener hat das für Sie abgegeben. Es geht um die Kaution. Er sagte, Sie
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