Die Plantage: Roman (German Edition)
Hieb, der ihm beinahe das Bewusstsein nahm. Roscoe blieb keine Zeit, sich zu fassen. Reed schlug die Hände wie rohe Klauen in seinen Körper, riss ihn hoch und schmetterte ihn ein zweites Mal zu Boden, dass Roscoe glaubte,sein Schädel würde zertrümmert. Oh, er kannte die Methode des irrsinnigen Reed; der Anschlag sollte ihn nicht töten, nur wehrlos machen für das, was danach käme.
Reed kauerte über ihm, seine fremden, kalten Augen erkannten den Freund nicht mehr, in seinem Wahn wollte er ihn grausam zu Tode bringen wie die anderen Opfer zuvor.
Doch Roscoe war ein Kämpfer. Nach dem ersten Schock erwachten seine Instinkte, er versammelte seine Kraft und konzentrierte sich darauf, den schwachen Punkt des Gegners zu erkennen. Reed indessen drückte ihn mit den Knien auf den Boden, während sein Klauengriff sich um Roscoes Kehle schloss. Da plötzlich erstarrte sein irrer Blick: Roscoe grinste ihn an! Noch nie hatte eines seiner Opfer gegrinst, neugierig beugte er sich zu ihm herab, wie ein Tier, das eine unbekannte Beute bewitterte. In diesen Augenblick legte Roscoe sein Leben. Er riss den Kopf hoch und schlug seine Stirn gegen Reeds Nasenund Jochbein. Er hörte das Knirschen brechender Knochen und rammte dem Mann sein Knie in die Weichen.
Er würde nie vergessen, wie die Bestie aus Reed schrie. Sein armer Freund bäumte sich auf und hob die Hände vors Gesicht. Zwischen seinen Fingern troff Blut hervor, floss auf die weißen Spitzenmanschetten und die Ärmel seines teuren Rocks. Roscoe trat ihm gegen das Brustbein und warf ihn ganz von sich. Dann packte er den blutenden, vor Schmerz blinden Mann beim Haarschopf und schlug ihn mit einem gezielten Fausthieb bewusstlos.
Schwer atmend stand er über den Ohnmächtigen gebeugt, die Hände in die stechenden Seiten gestützt. Als er sich der nächsten Aufgabe gewachsen fühlte, griff er ihn unter den Achseln, zog ihn hoch und warf sich den erschlafften Körper über die Schultern. Keuchend unter der Last, trug er ihn durch die Halle und die Treppe hinauf nach oben in das Zimmer über dem Garten. Dort legte er ihn aufs Bett, streifte ihm die Schuhe ab und begann, ihm die blutigen Kleider auszuziehen. Aus demBad brachte er Tücher und die Waschschüssel, setzte sich neben den wie leblos Daliegenden aufs Bett und wusch ihm behutsam das Blut vom Gesicht, von der Brust, von den Armen und von seinen schönen Händen. Sorgsam trocknete er ihn mit frischen Tüchern. Zuletzt zog er ihm den seidenen Hausmantel an und bettete ihn auf weichen Kissen.
Lange saß er auf dem Bettrand und betrachtete seinen Freund, der in einer tiefen Ohnmacht lag. Reed hatte aufgestöhnt, als Roscoe zuvor die angebrochenen Knochen seines Gesichts berührte. Nun lag er ganz ruhig. Roscoe hielt seinen Zustand für stabil genug, um ihn kurze Zeit allein lassen zu können, und ging zu seinem Zimmer. Als er zurückkam, hatte er das Holster mit den Duellpistolen und einen Lederbeutel mit Kugeln, Pulver und Lunten bei sich. Reeds Verfassung war unverändert.
Roscoe setzte sich aufs Bett, nahm die Waffen zur Hand und lud sie. Eine Pistole schob er zusammen mit dem Holster und der Munition unter das Bett. Die andere legte er entsichert ans Bettende. Seinen Kopf auf dem Kissen neben Reeds Kopf, rückte er ganz nah zu ihm hin und nahm ihn in den Arm. Er küsste ihn, sagte ihm Worte ihrer Vertrautheit, und Tränen liefen ihm übers Gesicht.
Es war also geschehen, Reed hatte ihn im Wahnsinn angegriffen. Dieses Mal hatte er Glück gehabt, einen zweiten Angriff Reeds würde er vielleicht nicht abwehren können. Als aus Algernons Augen der Wahnsinn auf ihn blickte, da wusste er, dass für seinen Freund die Zeit abgelaufen war. Er streichelte die blassen Wangen des Bewusstlosen, den seine Worte nicht mehr erreichen konnten.
»Es war doch schön, dieses wilde Leben, mein Algie, mein Liebster, es war nicht nur schrecklich. Wenn ich gewusst hätte, dass es so schnell vorbei sein würde, wäre ich nicht fortgegangen. Ich wollte immer bei dir sein, ich wollte dich nie verlassen … und jetzt verlässt du mich! Ich liebe dich so sehr, Algie. Lass mich hier nicht allein!«Ein Schuss teilte den Tag in das Davor und das Danach. Vögel flatterten aufgeschreckt aus den Kronen der alten Eichen. Als der Nachhall verklungen war, ließen sie sich wieder in den Bäumen nieder, als wäre nichts geschehen.
48.
Die Straße verlief in gerader Linie durch fruchtbares Plantagenland. Zur Rechten zog der Fluss in Schleifen und
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