Die Poison Diaries
blinzelt mich kurz an und hoppelt dann davon.
»Das war wirklich heldenhaft!«, ruft Rittersporn aus. »Haben Sie es genossen?«
»Nein. Aber das Kaninchen lebt. Bist du zufrieden?« Angewidert lasse ich den blutigen Ast in den Schmutz fallen.
»Zu schade. Ich dachte, es hätte Ihnen ein bisschen gefallen. Aber jetzt müssen Sie noch ein Stück weiter mit mir gehen, etwa zehn Schritte den Pfad entlang. Ich möchte Ihnen noch etwas zeigen, etwas sehr Hübsches – und jetzt auch sehr Trauriges.«
Missgelaunt gehe ich die zehn Schritte den Pfad entlang, bis zu einem dichten Goldfliederbusch. Unter dem Gebüsch, inmitten eines Polsters aus Efeu, befindet sich ein Nest, und in dem Nest liegen, zu einem pulsierenden, elfenbeinfarbenen Haufen zusammengerollt, die neugeborenen Hermelinjungen.
»Arme Mama-Hermelin«, bemerkt Rittersporn. »Ohne Mutter werden ihre Jungen natürlich auch nicht überleben. Es wird ein langsamer, erbärmlicher, winselnder Tod – vor Kälte, Hunger und Durst.«
Ich zittere vor Zorn und Verzweiflung. »Aber war das nicht die Aufgabe, die ihr mir gestellt habt? Die Hilflosen gegen die Starken zu verteidigen?«
»Das war es, Master Weed. Aber wer entscheidet, wer hilflos ist und wer stark?« Die Kraft der Kinderstimme versiegt langsam. »Wenn Sie nach der Macht verlangen, das Schicksal zu ändern, müssen Sie auch in der Lage sein, die Konsequenzen zu tragen. Denn das Schicksal eines Einzigen zu verändern ist unmöglich – alle Schicksale sind miteinander verbunden.«
»Ich habe die Aufgabe gelöst!«, fahre ich auf. »Ich tat, was ihr von mir verlangt habt.«
»Sie haben den Schwächeren gegen den Stärkeren verteidigt«, sagt Rittersporn, wie aus weiter Ferne. »Aber wer wird diese armen kleinen Babys gegen Sie verteidigen?«
***
Als ich zurückkehre, wartet das Gift bereits auf mich.
»Das ging aber schnell. Ich würde aber zu gerne wissen, Master Weed, warum Sie die Hermelinjungen nicht ebenfalls getötet haben.« Seidelbasts Stimme schneidet in mich wie ein Messer. »Das wäre barmherziger gewesen, als sie einem langsamen Tod am Wegesrand zu überlassen.«
»Barbarischer Seidelbast! Du glaubst wohl, dass das Töten für alles eine Lösung ist. Und seit wann weißt du etwas über Barmherzigkeit?« Schweigrohrs Bassstimme lässt die Erde unter meinen Füßen vibrieren. »Gut gemacht, Lammmörder Weed. Heldenhafter Hermelinmörder Weed! Ihre zweite Aufgabe ist erfüllt, und Ihre Belohnung wartet bereits. Oder haben Sie in Ihrer heißen Mordlust ganz vergessen, dass Sie das Leben Ihrer süßen Jessamine retten wollen? Sie ist schwach, so schwach, das arme Mädchen. Zu Ihrer Welt wird sie nicht mehr lange gehören, fürchte ich.«
»Gebt mir das Heilmittel!«
Wie gerne ich sie alle mit der Wurzel herausziehen und in Stücke reißen würde!
, denke ich – und dann:
Nein, das ist genau, was sie wollen: dass ich so denke wie sie, ohne Ehrfurcht für das Leben, ohne Mitleid und Gnade.
Mondsame rollt eins seiner schmalen, langen Blätter auf und enthüllt ein weiteres Bündel aus Blättern und Kräutern.
»Wird das sie gesund machen?«, frage ich.
»Nein. Noch nicht.«
»Wird es sie beleben? Wenigstens für kurze Zeit?«
»Im Gegenteil. Es wird sie in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf versetzen«, erklärt Mondsame. »Ihr Herz wird kaum noch schlagen. Keine Macht auf Erden wird sie erwecken können. Aber Sie müssen ihr dieses Mittel unbedingt geben, wenn sie überleben soll.«
Der Gedanke daran, Jessamine diese Arznei zu verabreichen, die sie dem Tod noch einen Schritt näherbringen wird, erfüllt mich mit tiefer Angst. »Warum?«, will ich wissen.
»Ihre Kraft ist fast versiegt. Dieses Mittel wird das Leben, das ihr geblieben ist, bewahren. Es wird ihr – und Ihnen – mehr Zeit verschaffen.«
»Und Sie werden Zeit brauchen, Master Weed.« Seidelbasts Stimme trieft vor Hohn. »Zeit, um die dritte – und letzte – Aufgabe zu lösen.«
»Und es wird hoffentlich tatsächlich die letzte sein, denn ich bin eure üblen Spielchen leid.« Bitter nehme ich das Paket mit Kräutern und gehe in Richtung des Tors.
»Ein guter Rat, Master Weed«, ruft mir Schweigrohr noch nach. »Wenn Sie das nächste Mal etwas umbringen wollen, dann nehmen doch lieber ein wenig Gift. Es ist so viel einfacher – und sauberer – als Schädel mit einem Knüppel einzuschlagen.«
Sein Gelächter wird lauter, gerät außer Kontrolle, bis es wie eine Lawine durch die Landschaft rollt und mit
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