Die Poison Diaries
erfüllt, die ihr mir gestellt habt«, sage ich tonlos und werfe Mondsamens abgerissenes Blatt zu Boden.
»Armer Master Weed«, gurrt Seidelbast, »Sie fühlen sich bestimmt schrecklich schuldig.«
»Ich habe das Lamm nicht getötet. Der Rabe tat es.«
»Aber Sie haben nichts getan, um dem armen Tier zu helfen.«
»Nein.«
»Sie haben zugeschaut, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie haben sich nicht abgewendet, und Sie haben sich nicht eingemischt.« Schweigrohr kichert. »Sie sind nicht besser als der Rabe – nur dass der Rabe jetzt einen vollen Bauch hat. Ha ha!«
»Sie sind wirklich kalt und herzlos, genau wie Ihre geliebte Jessamine gesagt hat!«, trillert Rittersporn. »Ein Monster ohne Mitleid für alles Leben, das nicht pflanzlich ist.«
»Ich tat, wie ihr mich geheißen habt.« Ich muss mich zusammenreißen, um meinen Zorn zu beherrschen. »Jetzt gebt mir das Heilmittel für Jessamine.«
»Das Mittel, um ihr Leben zu retten, haben Sie sich noch nicht verdient.« Ein kleines Bündel, eingewickelt in Blätter und zusammengebunden mit geflochtenen Grashalmen rollt durch den Nebel vor meine Füße. Ich löse die Verpackung und schaue hinein: Darin liegen Zweige, Blätter, Samen und Wurzeln. Einige kenne ich, andere sind mir völlig fremd. »Bereiten Sie daraus einen Tee zu«, sagt Schweigrohr. »Es wird ihre Qualen für eine Weile lindern.«
»Eine
kurze
Weile«, ergänzt Rittersporn fröhlich.
»Es wird sie am Leben halten«, sagt Schweigrohr, »jedenfalls lange genug, bis wir Ihnen die zweite Aufgabe gestellt haben.«
***
Oleander? Sind Sie das?
Ich war die ganze Zeit bei dir, Liebchen. Wir sind zusammen geflogen, du und ich.
Dann sind das Ihre Flügel, die mich emportrugen?
Natürlich. Glaubst du vielleicht, ich würde dich jemand anderem anvertrauen? Aber sag mir: Was hältst du jetzt von deinem geliebten Giersch? Du willst doch wohl keinen Mann heiraten, der so grausam und herzlos ist, so bar jeglichen Gefühls? Er hat bloß dagestanden und zugeschaut, als dieser entsetzliche Vogel seinen Schnabel und die Krallen in das arme …
Bitte, sprechen Sie es nicht aus.
Aber er tat nichts dagegen. Das kannst du nicht abstreiten.
Er … er hatte bestimmt seine Gründe.
Er ist so schrecklich unkultiviert, musst du wissen. Er weiß nur, was ihm seine blättrigen kleinen Freunde erzählen. Und es ist so leicht, die eine Pflanze mit der anderen zu verwechseln. Die Knolle des Eisenhuts mit der Meerrettichwurzel. Schierling mit Karotten. Bittere Irrtümer, zugegeben, aber sie passieren. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass er es so weit gebracht hat. Wenn du ihn heiraten würdest, wärst du vermutlich innerhalb von vierzehn Tagen Witwe.
Wollen Sie ihn etwa mittels einer Täuschung dazu bringen, sich selbst zu vergiften, wenn ich ihn heirate?
Ich spreche nur eine theoretische Möglichkeit aus. Obwohl … wenn ich ganz sicher wäre, dass diese lächerliche Verlobung gelöst werden würde, wäre ich viel eher bereit, diesem Lammmörder das Heilmittel für deine Krankheit zu verraten. Das Einzige, was für Weed schlimmer wäre als dein Tod, wäre, wenn du am Leben bliebest, nur um ihn abzuweisen. Sein Leiden wäre ganz exquisit!
Und warum wollen Sie ihn leiden sehen?
Vermutlich aus einer Art professionellem Interesse. Weißt du, Jessamine, Liebe ist auch ein Gift, eines meiner Lieblingsgifte sogar. Es geht ins Blut, vernebelt den Geist, erlangt die Beherrschung über den Körper. Es amüsiert mich, wenn ich daran denke, wie ihn nach dir giert. Wie er sich nach etwas verzehrt, was er nicht haben kann. Nichts, was ich tue, könnte schlimmer sein als das, was du ihm bereits angetan hast, meine Schöne. Und ich versichere dir, dass es für ihn kein Heilmittel gibt.
Aber was ist mit meinem Leid? Mit meiner Einsamkeit?
Nicht vorhanden. Du hast doch mich.
Aber ich will Sie nicht!
Meine süße, behütete Blume, woher willst du denn wissen, was du willst oder nicht? Wenn du bei mir bleibst, werde ich dich in die zauberhaftesten Träume einhüllen. Du wirst dich an nichts erinnern, was dir jemals Schmerzen bereitet hat. Du wirst dich in einem Zustand permanenten Entzückens befinden. Ich werde dich anbeten, Jessamine. Ich werde dich beschützen. Ich werde dich berauschen.
Und wenn ich mich weigere, was dann? Werden Sie mich dann bestrafen?
Du wirst nicht in der Lage sein, dich zu weigern. Das ist das Schöne daran.
O doch, ich werde …
Pst! Schon bald wirst du erfahren, was ich meine. Komm, es ist
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