Die Poison Diaries
in der Luft, wie brennende Wolle. Und da ist auch noch ein anderer Geruch – der Gestank nach Tod.
Die Tür zum Haus steht offen. Übelriechende Dämpfe dringen heraus, aber das Herdfeuer ist kalt. Ich lege den Arm vor Mund und Nase und trete ein.
Alle viere von sich gestreckt, liegt da auf dem Boden der Leichnam meines einstigen Quälgeistes Tobias Pratt. Er ist tot, aber noch nicht lange. Ein paar Stunden, nicht mehr. Und doch haben die Fliegen bereits mit der Arbeit begonnen. Der Gestank ist unbeschreiblich, obwohl die Fäulnis noch nicht eingesetzt hat. Andererseits stank er auch, als er noch am Leben war.
»Ich kann nicht sagen, dass ich glücklich bin, Sie zu sehen, Mr Pratt«, sage ich und stoße den Kadaver mit dem Fuß an. »Sie
tot
zu sehen, macht mich allerdings sehr glücklich.« Ich kann keine Wunden erkennen, lediglich ein dünner Blutfaden schlängelt sich über den Boden. Pratt wurde vergiftet. Wessen Blut die Steinfliesen besudelt hat, daran wage ich nicht zu denken.
Ich wedele die bitter schmeckende Luft fort und entdecke kurz darauf die Quelle der Dämpfe. Eine Kerze ist vom Esstisch zu Boden gefallen, aber die Steinfliesen sind nicht entflammbar, und der Regen, der durch die Tür hineingeweht wurde, hat den Teppich durchnässt. In Schach gehalten von Stein und Wasser, hat die Flamme nur einen kleinen Fleck Teppich versengt.
Der silberne Kerzenleuchter, der an dem winzigen Feuer schuld war, ist so weit abgekühlt, dass ich ihn anfassen kann. Er ist aus geschmiedetem Silber und wird nur zu besonderen Gelegenheiten aus dem Schrank geholt.
Ich stelle ihn zurück auf den Tisch. Meine Hand ruht auf dem glatten Metall. Als ich ihn das letzte Mal sah, wurde ich mit Jessamine verlobt. In dieser Nacht, als wir auf unsere gemeinsame Zukunft anstießen, hat ihr Vater sie vergiftet.
Ich wünschte, Mr Luxton würde hier tot vor mir liegen und nicht Pratt. Wenn ich Glück habe, werde ich seinen Leichnam irgendwo anders im Haus finden.
Was werde ich noch finden? Der beängstigende Gedanke lässt mich nicht los. Ich gehe durch den Salon und steige die Treppe durch den dicklichen Qualm des glimmenden Feuers hinauf. Diese Treppe führt zum alten Glockenturm, in dem sich Jessamines Kammer befindet. Hustend und würgend taumele ich die letzten Stufen hinauf.
»Jessamine!« Meine schlimmste Befürchtung ist, sie leblos auf dem Bett liegen zu sehen. Aber das Zimmer ist leer, das Bett ordentlich gemacht. Einige Schubladen sind ausgeräumt. Kein Zeichen von Unordnung, einem Kampf oder einer überstürzten Flucht. Alles sieht nach einer ruhigen Abreise aus.
»Was ist in diesem Haus geschehen?«, wende ich mich an die Prunkwinde, die sich um das Fenster rankt.
Fort, alle fort
, krächzt sie und schweigt dann, denn die Ranke ist braun und verschrumpelt, als wäre sie einem frühen Frost zum Opfer gefallen.
Pratt ist tot. Luxton ist nirgends zu entdecken. Jessamine hat Hulne Abbey verlassen, hatte aber Zeit, sich auf ihre Abreise vorzubereiten. Hier ist Böses vorgefallen, daran gibt es keinen Zweifel. Ich renne aus dem Haus, den Pfad zur Linken hinauf, bis ich das verfluchte Tor erreiche.
Es ist verschlossen, aber durch die Eisenstäbe hindurch erkenne ich ein Bild der Verwüstung. Braunes Herbstlaub liegt in einer dicken Schicht über dem Garten, obwohl anderswo die Bäume kaum begonnen haben, sich zu verfärben. Ich erkenne verdorrte Stängel und Pflanzen, die sich in die Erde zurückziehen, als ob der Winter vor der Tür stehen würde.
Ich hatte mich gegen die niederdrückende und überwältigende Bosheit dieses Ortes gewappnet, aber ich spüre sie nur schwach. Ich strecke die Hand durch die Stäbe und fasse nach der nächstbesten Pflanze, einem Ligusterstrauch, der noch saftig und grün sein sollte. Bei meiner Berührung brechen die Stängel, und die Blätter rieseln zerfallend zu Boden.
»Was ist im Haus des Apothekers geschehen? Weißt du etwas darüber?«
Das spröde, keckernde Lachen sticht mir in den Ohren. »Gift ist geschehen, Master Weed. Das werden Sie doch bemerkt haben!«
»Ich weiß. Aber warum sollte Thomas Luxton Pratt vergiften?«
»Gift wurde verabreicht, nicht ein Mal, sondern zwei Mal.«
»Sprich nicht in Rätseln. Hat Luxton den Mann vergiftet oder nicht?«
»Luxton schon. Aber nicht Thomas Luxton.«
Was soll das bedeuten: Nicht ein Mal, sondern zwei Mal. Welche Schlussfolgerung lässt das zu? Ein fürchterliches Begreifen breitet sich in mir aus wie ein Sturm. »Sag mir die
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