Die Poison Diaries
antworten.« Der Mann stößt ein scharfes Lachen aus. »Das wird ein langer und höllisch unbequemer Tag. Und ich würde ihn zu gern in netter Gesellschaft verbringen.« Er senkt die Stimme, als würde er ein Verbrechen gestehen. »Das ist wahrscheinlich mein irisches Blut.«
Er ist ein gut gebauter Mann, nicht jung, aber auch nicht alt. Attraktiv, auf eine raue, männliche Art, mit einem wettergegerbten Gesicht, das von viel Sonne und frischer Luft zeugt. Ich will gerade eine unverbindliche Antwort geben, als mir eine gute Prise Staub in den Mund fliegt und ich husten muss, bis mir die Augen tränen. Er betrachtet mich mit leichter Belustigung.
»Je trockener es wird, desto übler werden die Straßen. Der feine Staub setzt sich in die Nase und kriecht bis in die Lungen. Sie sollten sich ein Taschentuch vor Mund und Nase binden.« Seine Augen huschen über mein Gesicht und bleiben kurz an meinen angemalten Lippen hängen. »Ich wurde auf den Namen Zachariah getauft, aber alle nennen mich bloß Rye. Ich bin Pferdehändler, obwohl ich im Augenblick keine Ware besitze. Ich habe beim Markt in St. James ein gutes Geschäft gemacht, habe vier Kaltblüter und ein halbes Dutzend Connemara-Ponys verkauft. Und jetzt habe ich kein Pferd mehr, um nach Hause zu reiten, wie Sie sehen können. Wie gehen bei Ihnen die Geschäfte?«
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er in mir eine Art Händlerin sieht, denn warum sollte ich sonst mit diesen Kaufleuten unterwegs sein? »Nicht schlecht«, antworte ich knapp.
Er stemmt sich gegen das Schaukeln der Kutsche, indem er sich vorbeugt und das Geländer hinter mir packt. Was dazu führt, dass er mir näher kommt, als mir lieb ist. Unsere Blicke treffen sich, und ich lese in seinen Augen das Bewusstsein seiner Stärke, offenes Verlangen und einen Hauch Unwillen. »Und was verkaufen Sie?«, fragt er mit leisem Spott in der Stimme.
Noch ehe ich etwas erwidern kann, brechen zwei Frauen, die neben uns sitzen und aufmerksam unserem Gespräch gelauscht haben, in Gelächter aus, so dass die Bündel, die sie auf dem Schoß tragen, auf und ab wippen.
»Nichts, was Sie sich leisten könnten«, gebe ich zurück. Ich will ihn entmutigen, damit er mich in Ruhe lässt, aber alle Anwesenden haben meine Worte gehört, was zu noch mehr Gelächter führt.
Ich spüre, wie Ärger in mir aufsteigt. Ich würde diesen Mann am liebsten wissen lassen, wozu ich fähig bin, damit er sich von mir fernhält.
Rye, so, so
, denke ich,
wie der Roggen, aus dem der Whisky gebraut wird. Ein Glas davon, das zuvor durch meine Hände gewandert ist, könnte dir unaussprechliches Leid bereiten. Dann würdest du erfahren, in welcher Art von Geschäft ich unterwegs bin.
Aber noch während ich das denke, unterdrücke ich meinen Unmut. Es ist besser, wenn meine Reisegefährten mich auch weiterhin für die einsame Händlerin mit scheinbar fragwürdiger Tugend halten. Dass ich mich abseitshalte, provoziert sie. Ich werde mich anpassen müssen, wenn ich nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen will.
Das Gelächter erstirbt. Mein neuer Bekannter schlägt sich klatschend auf den Schenkel und grinst. »Sie sind in Ordnung, Mädchen! Wie, sagten Sie, ist Ihr Name?«
»Rowan«, antworte ich und riskiere ein winziges Lächeln. »Ich heiße Rowan.«
***
Während der Tag fortschreitet und die Pferde zusehends müde werden, müssen die Männer immer häufiger aussteigen und neben der Kutsche herlaufen, besonders, wenn es bergauf geht. Am späten Nachmittag sinken wir in ein Schlammloch ein, das sich über die gesamte Breite der Straße erstreckt. Wir alle müssen die Kutsche verlassen und abwarten, bis die Pferde den Wagen aus dem Loch herausgezogen haben.
Ich nutze die Zeit, um mir die Beine zu vertreten – und um zu lauschen. Ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die Nachricht von einem grauslichen Doppelmord im Land verbreitet. Wenn die Leichen in Hulne Abbey entdeckt werden, wird dann jemand die stille, goldgelockte Tochter des Apothekers verdächtigen? Oder werden sie glauben, dass ich ebenfalls einem Wahnsinnigen zum Opfer gefallen bin? Dass mein gemeuchelter Körper irgendwo in einem Gestrüpp liegt oder – noch schlimmer – dass ich entführt und geschändet wurde?
Aber die Gespräche meiner Reisegefährten drehen sich nur ums Geschäft: um steigende Kosten und das Umherziehen und die Angst vor Straßenräubern. Ich erfahre, dass es unter den Reisenden Weber, Töpfer, Kupferschmiede und
Weitere Kostenlose Bücher