Die Poison Diaries
Perserin, wie ich. Ich habe noch nie ein Mädchen aus meiner Heimat hier in England getroffen.«
Sie legt den Kopf schräg, so dass ihr dunkles Haar zu einer Seite schwingt. Dabei verströmt sie einen leichten Duft nach Weihrauch. »Die afghanischen Händler sehen so ähnlich aus wie Sie. Braune Haut, dunkle Haare und helle Augen. Wunderschöne Menschen! Sie handeln mit fein gewebten Teppichen, die aber nicht so kostbar sind wie unsere. Sie sind also Engländerin?« Sie scheint enttäuscht zu sein.
»Ich habe irische Vorfahren«, sage ich, nachdem ich schnell überlegt habe. »Dunkle Haare und blaue Augen sind dort nichts Ungewöhnliches.«
»Sie kommen aus Irland? Wie Mr Rye? Kein Wunder, dass er Sie mag. Mein Vater sagt, er sieht sie an wie ein kostbares Araberpferd, das er zähmen will.«
»Tatsächlich?« Ich sollte empört sein, weiß aber nicht, was ich davon halten soll. Ich bin es nicht gewohnt, auf diese Weise von einem Mann betrachtet zu werden. »Was sagt dein Vater noch über Mr Rye?«
»Dass er ein Schmuggler ist und eines Tages am Galgen hängen wird, wenn die Zöllner ihn erwischen. Oder aber er wird so reich wie König Krösus.« Sie spricht völlig hemmungslos und berührt zart meine Haut, kurz oberhalb meines Handgelenks. Ich habe meinen Körper überall da, wo er nicht bedeckt ist, gefärbt: mein Gesicht, meinen Hals, meine Hände und auch meine Unterarme. »Aber Sie sehen nicht aus wie Mr Rye. Er ist rothaarig und hat Sommersprossen. Sie sind braun, wie ich.«
»Ich hätte die Sonne meiden sollen.« Mein Lächeln kommt jetzt ungezwungen, denn ich merke, dass dieses Mädchen keine Bedrohung für mich ist. Sie ist nur neugierig und sehnt sich nach einem anderen jungen Menschen, mit dem sie reden kann. Es ist nicht einfach, das einzige Kind unter Erwachsenen zu sein. Ich weiß das nur zu gut.
Ich ziehe den Ärmel weiter nach unten. »Du kannst ruhig Du zu mir sagen. Warum habe ich dich noch nicht gesehen? Du fährst nicht mit den anderen in der Kutsche, nicht wahr?«
»Meine Familie verkauft Teppiche.« Sie setzt sich neben mich auf die Bank. »Wir haben unseren eigenen Wagen, der hinter der großen Kutsche herfährt. Meine Mutter sitzt auf dem Teppichstapel und ich sitze hinter meiner Mutter. Manchmal fährt mein Vater auch, aber meistens geht er neben dem Maultier her und treibt es mit Flüchen an.« Sie senkt ihre Stimme und imitiert das wütende Murren eines Mannes in ihrer eigenen Sprache. Dann kichert sie. »Nur gut, dass du nicht verstehst, was ich gesagt habe. Das sind schlimme Worte.«
»Du kannst gut Leute nachmachen. Aber wenn ihr euren eigenen Wagen habt, warum folgt ihr uns dann?«
»Es ist gefährlich, allein übers Land zu fahren. Die Teppiche, die wir verkaufen, sind sehr schön. Die Frauen aus unserem Dorf weben sie. Meine Großmutter schickt die Teppiche von Täbris aus auf die Reise hierher, während meine Eltern und ich herumfahren und sie verkaufen. Dieses Jahr wollten sie, dass ich bei
Maamaan
zu Hause bleibe und weben lerne. Ich sollte ein braves Mädchen sein. Aber ich will die Welt sehen! Und ich kann gut verkaufen. Besser als mein Vater, das muss er selbst zugeben«, erzählt sie.
Ein Bissen Butterbrot verschwindet in ihrem Mund. »Es dauert Monate, diese Teppiche zu weben. Zwanzig verschiedene Farben sind verarbeitet! Jedes Muster erzählt eine Geschichte. Soll ich sie dir zeigen?« Sie spricht mit einer geübten Leichtigkeit. Ich kann sie mir gut vorstellen, wie sie interessierten Kunden mit einem charmanten Lächeln die Vorzüge ihrer Ware anpreist.
»Morgen, nach Sonnenaufgang, werde ich mir deine Teppiche anschauen«, verspreche ich. »Aber ich muss dich warnen. Ich werde keinen kaufen, zumindest jetzt noch nicht. Ich habe keine Verwendung für Teppiche.«
»Natürlich. Zuerst brauchst du ein Zuhause, nicht wahr? Ein Heim und einen Ehemann. Dann Teppiche. Dann Kinder!« Sie kichert und ihre Zähne blitzen weiß auf. Sie kann nicht älter als elf oder zwölf sein. »Hör zu, irische Frau: Wenn du den richtigen Teppich kaufst, wird sich der Rest ganz von allein ergeben.«
»Wenn deine Teppiche solche Zauberkräfte besitzen, dann sind sie wirklich ein Vermögen wert«, gebe ich zurück.
»Das sind sie. Vierhundert Knoten auf einem Quadratzoll! Ich heiße übrigens Maryam. Schön, dich kennenzulernen.« Sie presst die Handflächen gegeneinander und verbeugt sich leicht. Dann hält sie mir den letzten Bissen ihres Brotes hin. »Hier, für dich.«
Ich nehme
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