Die Poison Diaries
gesprochen habe, sind ebenfalls geblieben, und auch eine Handvoll Männer, einschließlich des Gastwirts, der als Herr des Hauses angerufen wurde, um über mein Schicksal zu entscheiden.
Rye, mein Möchtegern-Held, ist fort. Es ist vielleicht besser so. Mir ist keine Scham mehr geblieben, die ich empfinden könnte, aber trotzdem will ich ihm jetzt nicht unter die Augen treten. Ich bin zu erschöpft und kann nicht mehr die Kraft aufbringen, Angst oder Verzweiflung zu heucheln. Oleanders Worte –
tot nutzt du mir nichts
– haben sich wie Eis auf meine Seele gelegt, und in meinem Inneren ist alles ruhig geworden, wie erstarrt und doch voller Hass. Vor meinen Augen plappern und befragen mich diese Tölpel, aber ich habe nicht die Absicht, auch nur auf eine einzige Frage zu antworten.
»Sag uns deinen wahren Namen, Mädchen.«
»Warum hast du dein Äußeres verändert? Vor wem versteckst du dich?«
»Was hast du mit dem kranken Kind gemacht?«
»Denk dran, auch das Vortäuschen von Hexenkunst ist ein ernstes Vergehen«, sagt der Gastwirt bedächtig. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm die ganze Sache Unbehagen bereitet. »Was sollen wir von all dem halten?« Er deutet auf die Kräuter, die fein säuberlich aufgereiht auf dem Tisch liegen, neben meinen anderen Sachen. Jedes Kraut steckt noch in seiner kleinen Papiertüte, glücklicherweise unbeschriftet. Ich kenne jede Pflanze so gut wie einen alten Freund.
»Fragen Sie sie, wie viel Geld sie den Eltern des kranken Kindes abgeknöpft hat«, keift Agnes. »Bestimmt hat sie versprochen, einen Heilungszauber zu weben, mit einem magischen Trank aus Karottengrün und Kräutern.«
Ich ziehe die Decke eng um meine Schultern, denn in meinen Körper sickert allmählich eine tödliche Kälte. »In meinem Dorf gab es eine alte Frau, vor vielen Jahren«, sage ich. Diese Geschichte habe ich mir auf dem Weg vom Fluss hierher ausgedacht. »Wenn sie eine Hexe war, habe ich jedenfalls nichts davon gemerkt. Ich war damals noch ein Kind. Sie konnte einen Tee zubereiten, der Kopfschmerzen heilt. Sie brachte mir das Rezept bei. Bis heute habe ich immer ein paar Kräuter bei mir, weil ich oft darunter leide. Unter Kopfschmerzen, meine ich.«
Die Reaktion meines Publikums reicht von Zweifel bis hin zu offenem Hohn. »Als ich hörte, dass das Kind krank ist, hatte ich Mitleid. Ich brachte ein paar der Kräuter, mit denen ich meinen Tee zubereite, zu der Familie. Ich dachte, sie könnten die Schmerzen des Mädchens lindern. Auf jeden Fall haben sie ihr nicht geschadet. Mehr konnte ich nicht tun. Ich habe keine Bezahlung verlangt und auch keine bekommen.«
Der Gastwirt hebt ein Päckchen mit Rizinussamen hoch, die ich getrocknet und zu Mehl gemahlen habe, um das tödliche Gift in ihnen freizusetzen. »Das alles sind also bloß Kräuter gegen Kopfschmerzen?«
»Ja. Und ein paar Zutaten, um Kosmetik herzustellen.«
Eine Prise von dem, was du in der Hand hältst, würde deinem Leben in Sekundenschnelle ein Ende bereiten
, denke ich. Ein Teil von mir wünscht sich fast, er würde davon kosten – aber dann würde ich garantiert am Galgen baumeln.
»Sie sind ein junges, gut aussehendes Mädchen. Wofür brauchen Sie einen Beutel voll Kosmetik?«
»Um sie auf dem Markt zu verkaufen.«
»Sie hat uns erzählt, sie sei eine Stickerin. Sehen Sie, sie hat gelogen! Sie ist eine Lügnerin!«, kräht Agnes, den sicheren Sieg vor Augen.
»Ich stelle auch Stickereien her. Aber meine Augen sind nicht besonders gut, und ich kann nicht viel Näharbeit machen, wegen der Kopfschmerzen. Kosmetik verkauft sich besser, aber meine Kundinnen sind oft … bitte vergeben Sie mir, wenn ich es ausspreche: Huren. Ich schäme mich, weil ich mit solchen Leuten Umgang pflege, und ich versuche, nicht über diesen Teil meines Gewerbes zu sprechen. Aber ich muss mein Brot verdienen, und diese lästerlichen Frauen haben viel Geld.« Mit einem unschuldigen Blick schaue ich auf, geradewegs in Agnes’ Augen. »Es ist nicht leicht, auf tugendhafte Art und Weise sein Geld zu verdienen, wie Sie sicher wissen.«
Einige der Männer scharren unruhig mit den Füßen. Sie werden verlegen. Meine Lügen klingen glaubhaft, wie alle guten Lügen. Außerdem haben wohl alle schon einmal ihre Erfahrungen mit Dirnen gemacht.
Der Gastwirt räuspert sich. »Also schön, das Mädchen stellt Tee und Schminke her. Darin kann ich nichts Verwerfliches sehen. Werden Sie uns Ihren richtigen Namen verraten?«
»Mein Name ist Rowan. Nur
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