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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryrose Wood
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dich hochhebe, holst du tief Atem und hältst ihn in deinen Lungen. Ich hoffe, du kannst schwimmen, Mädchen, sonst …« Seine letzten Worte werden vom Johlen und Pfeifen des Mobs übertönt.
    Dann packt er mich mit seinen harten, rauen Händen, die sich auf meinem zitternden Fleisch heiß anfühlen, hebt mich – nackt und hilflos wie ein neugeborenes Fohlen – in die Höhe und schleudert mich in das kalte, brausende Wasser.
    ***
    Auch ohne das Gewicht meines Kleides versinke ich wie ein Stein.
    Unter der Wasseroberfläche ist die Welt schattig und gedämpft. Das Wasser ist trüb und eiskalt. Meine Haare wirbeln wie ein Schleier aus Seetang um mein Gesicht, und meine Glieder wirken in dem Dämmerlicht geisterhaft. Wie eine sterbende Meerjungfrau sinke ich nach unten, immer weiter weg von der rettenden Luft. Das schwache Licht der Welt über Wasser erlischt nach einer kurzen Weile.
    Eine sich wiegende Wiese aus Seegras bedeckt den Grund des Flusses. Die langen, schlangengleichen grünen Stängel winken mir lockend zu. Die Luft in meinen Lungen will hinaus. Jetzt, da die letzten Sekunden meines Lebens angebrochen sind, eröffnet sich mir die Summe meiner Tage. Wie Bilder auf einer Kugel, die sich vor meinen Augen dreht, erscheint mir mein Leben in diesem einen Augenblick.
    Flüchtige Kindheitserinnerungen an meine Mutter. Ihr weicher Körper, das Gefühl, getragen zu werden, der tröstliche Duft nach Milch und Brot und frisch gewaschenem Leinen. Ich als kleines Mädchen mit vor Scham zitternden Lippen; ich versuche, nicht zu weinen, während ich von meinem Vater gescholten werde. Dann wieder ich, älter, ernster, neugierig auf seine geheimnisvolle Arbeit. Ich sehe mich selbst wachsen und reifen, sehe, wie ich den Rhythmus der Pflanzen begreife, während ich vom Leben selbst noch so wenig Ahnung habe.
    Dann kommt Weed, und ich taumele in einen Traum von Glück. So kurz und doch so süß scheint er alles auszulöschen, was davor gewesen ist, und er macht mich blind für alles, was danach kommt.
    Und dann: Oleander. Das Phantom. Der Albtraum. Und doch erfahre ich durch ihn, wer ich wirklich bin.
    Jetzt, im Sterben, fange ich an zu verstehen, wie entsetzlich diese Welt sein kann. Und ich bin ein Teil davon, bin ein Teil des Bösen und des Schmerzes. Ich trage sie in mir wie eine Krankheit …
    Ich habe dich gewarnt, meine Liebe. Ich sagte dir doch, du sollst dich nicht mit diesem jammernden, heulenden Kind abgeben. Jetzt schau dich an. Wie eine Lotusblüte kämpfst du dich aus dem Schlamm. Allerdings scheint, bei näherer Betrachtung, der Schlamm den Kampf zu gewinnen.
    Wird sie überleben?
    Das persische Mädchen? Vielleicht noch fünfzig Jahre. Das war wohl kaum der Mühe wert.
    Meine Brust steht kurz vor dem Platzen. Vor meinen Augen tanzen gleißende Sterne.
    Ich bin Jessamine Luxton, denke ich. Ich habe gelebt und ich habe geliebt. Und ich habe getötet. Ich habe Rache genommen für das Unrecht, das mir angetan wurde. Warum muss ich noch immer leiden?
    Im Leben bin ich Oleanders Sklave. Im Tod werde ich in der Hölle schmoren. Ich weiß schon jetzt, was von beidem schlimmer ist.
    Sag Weed, dass es mir leid tut.
    Ich öffne den Mund. Die Atemluft rast in einem schnellen Bündel Luftblasen aus meinen Lungen.
    Sag ihm, dass ich ihn noch immer liebe.
    Nein.
    Ich lasse das schlammige Wasser in mich ein, lasse zu, dass es mich ausfüllt und in meine Lungen fließt …
    Ich sagte Nein. Ich habe Pläne für dich, wichtige Pläne, und tot nutzt du mir nichts. Jetzt erhebe dich.
    Sag ihm von mir Lebewohl.
    Sag es ihm selbst, Liebchen. Wenn die Zeit kommt, wird der Tod für dich eine Zuflucht sein. Der Tod – und ich. Aber diese Zeit ist noch nicht gekommen.
    Wie tausend grüne Taue schlingt sich das Seegras um meine Handgelenke. Ich öffne den Mund noch weiter, damit das Wasser schneller eindringen kann. Aber das Seegras macht eine kraftvolle, ruckartige Bewegung und lässt mich dann los. Meine schlaffen Arme schlagen plötzlich nach unten und treiben mich an die Oberfläche.
    Gegen meinen Willen erhebt sich mein Kopf über das Wasser. Ich keuche und würge. Dann sinke ich wieder nach unten. Aber jetzt wissen meine Lungen, wo die rettende Luft ist. Der Instinkt zu überleben wird in mir wach. Er übernimmt die Kontrolle über meinen Körper und wischt die Verzweiflung beiseite.
    Wieder tauche ich auf. Diesmal bleibe ich lange genug oben, damit das Wasser aus meinen Augen fließen und ich die Böschung sehen kann. Das

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