Die Poison Diaries
skrupellos, einen Menschen zu vergiften, um herauszufinden, ob ich ihn retten kann. Daher kann ich nicht garantieren, dass die Tinkturen tatsächlich wirken. … Es scheint so, als seien wir den Musikern im Weg. Signora Baglioni, Signor Weed, lassen Sie uns nach oben gehen.« Mit einer pompösen Geste scheucht er uns zur Treppe.
»Auch ohne einen Test wären die Formeln von wissenschaftlichem Interesse für uns.« Die Signora wirft mir einen eindringlichen Blick zu, den ich nicht missverstehen kann: Sie erwartet von mir, den
Orto botanico
zu fragen, ob eine der Rezepturen wirkt. »Wir haben nicht die Absicht, irgendeinen Profit aus Ihrem Werk zu schlagen – aber von einem Gelehrten zum anderen: Wären Sie bereit, uns Ihre Entdeckung zur Verfügung zu stellen?«
»Sie können die Formeln haben, gewiss.« Wir folgen Dr. Carburi über die hölzernen Stufen mit der geschnitzten Balustrade, die von einem Rang zum nächsten führen. »Aber als ein Kuriosum, nicht als offizielle Rezeptur! Und weil wir gerade davon sprechen – es gibt noch etwas, das ich Ihnen sagen möchte, Signora. Klatsch und Tratsch, aber womöglich von Interesse für Sie.«
Er bleibt auf einem Treppenabsatz stehen und senkt seine Stimme. »Ich habe Nachricht erhalten, dass sich eine Gruppe von heiteren Gesellen aus den obersten Kreisen des englischen Adels zum Martinsfest in Padua einfinden wird. Sie werden in den großen Villen entlang des Kanals zwischen Venedig und Padua Quartier beziehen. Sie reisen inkognito.«
»Warum?«
»Um ihre Privatsphäre zu schützen vielleicht. Denn hauptsächlich kommen sie, um mich zu konsultieren.«
»Doch nicht wegen Ihrer berüchtigten Heilmethoden, Marco!«
Belustigung macht sich auf dem Antlitz des Gelehrten breit. Er wendet sich zu mir. »Sie sehen mir aus wie ein Mann von Welt, Signor Weed. Es geht um ein … nun … pikantes Leiden. In England nennt man es die französischen Pocken, in Frankreich die neapolitanischen Pocken.«
Signora Baglioni schnaubt. »Ja, und in Neapel nennt man es die englische Pest. Dr. Carburi spricht von der Krankheit, die von den Ärzten Syphilis genannt wird.«
»Achten Sie gar nicht auf den Zorn der Signora, junger Mann, ich verdiene ihn nicht. In Wahrheit werde ich als Experte für die Behandlung dieses entsetzlichen Leidens betrachtet. Meine Patienten kommen aus ganz Europa zu mir und stammen aus den höchsten Kreisen der Gesellschaft. Sie suchen mich auf, sowohl wegen meiner Diskretion als auch wegen der Einzigartigkeit meiner Methoden.«
»Ihre Methoden sind schmerzvoll und wenig hilfreich.«
»Ich muss Sie verbessern, Signora: Meine Methoden sind qualvoll und gänzlich sinnlos. Sie sind aber auch sehr profitabel.«
»Es ist schändlich!«
»Aber meine Patienten bestehen darauf! Denn, seien wir ehrlich, sie haben gar keine andere Wahl.«
»Sie könnten versuchen, sich zur Abwechslung von den Huren fernzuhalten.«
Er zuckt mit den Schultern und wendet sich mir zu. »Sie sehen, die Methode der Signora ist nicht praktikabel. Wir sprechen hier von wohlhabenden, mächtigen Männern, die sich im Ausland amüsieren wollen. Wenn man ihnen die Huren wegnimmt, weshalb sollten sie dann noch ins Ausland fahren?«
Er schenkt Signora Baglioni ein charmantes Lächeln, aber ihre Miene wird noch finsterer. »Stinkreiche Engländer, die quer durch das Veneto reisen und Unzucht treiben, sind nichts Neues«, sagt sie. »Wo bleibt der Tratsch?«
»Meine Quellen besagen, dass König George höchstpersönlich unter den Reisenden ist.«
Die Augen der Signora weiten sich. »Der König von England? Aber warum sollte er nach Italien reisen, wo sich doch halb Europa im Krieg befindet? Das wäre Wahnsinn!«
»Dem stimme ich zu. Wer auch immer den König dazu gebracht hat, die Sicherheit Englands zu verlassen, ist ein Verräter. Ich fürchte, dass man ihn in eine Falle locken will.«
Er legt mir die Hand auf die Schulter. »Die Signora hat es Ihnen gewiss erzählt, wenn Sie es nicht schon vorher gewusst haben: Diese Gegend hier hat in der Vergangenheit traurige Berühmtheit erlangt, weil hier schon zahlreiche politisch motivierte Giftmorde geschehen sind. In Venedig gab es ein offizielles Gremium, den Rat der Zehn, der darüber entschied, wer als Nächstes vergiftet werden sollte. Die Franzosen fänden diese Vorgehensweise vermutlich äußerst demokratisch.«
Mittlerweile haben wir den obersten Rang erreicht. Dr. Carburi bleibt stehen, um zu Atem zu kommen. »Dass man den
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