Die Poison Diaries
Blicken.
»Die da?«, sagt ein jüngerer zu dem ältesten Anwesenden. »Diese bleiche Erscheinung ist die Künstlerin, von der du gesprochen hast?«
»Das ist sie. Kommen Sie näher, meine Liebe. Bringt jemand bitte unserem Gast ein Glas Whiskey.«
»Vielleicht später«, sage ich schnell. Ich habe bereits eine größere Menge Laudanum zu mir genommen, um meine Nerven im Griff zu behalten. Ich bin jetzt auf der Höhe meiner Kraft, furchtlos und ohne Scham, aber jeder zusätzliche Schluck würde mich rücksichtslos und unvorsichtig werden lassen.
»Wie Sie wünschen. Uns wurde gesagt, dass Sie eine junge Dame von größter Diskretion sind. Ist das richtig?«
»Ja.« Ich schaue mich um. Aller Augen liegen auf mir.
»In diesem Fall möchte ich Sie willkommen heißen. Wir sind die Gründer eines privaten Clubs. Unsere Mitglieder sind exklusiv, unsere Existenz ist geheim. Wissen Sie, was ein Skorpion ist?«
Sein herablassender Ton reizt mich. »Ich arbeite lieber mit Pflanzen statt mit Spinnentieren«, gebe ich zurück. »Aber ja, ich weiß, dass Skorpione ihre Beute vergiften. Die meisten Arten sind jedoch nicht giftig genug, um für Menschen gefährlich zu sein.« Ich erwidere seinen herausfordernden Blick. »Und vorausgesetzt, man hat festes Schuhwerk an, kann man sie mit Leichtigkeit unter dem Absatz zertreten.«
Er lacht. »Gut gesprochen! Sie halten, was Ihre Reputation verspricht. Und Sie sind gerade zur rechten Zeit gekommen, Miss Belladonna. Wir von der Gesellschaft der Skorpione beginnen unsere Versammlungen immer mit einem Gebet. Gentlemen, bitte sprechen Sie gemeinsam mit mir das Credo der Assassinen.«
Die Männer neigen die Häupter und rezitieren.
Der Alte fragt: Ist es besser, der Assassine zu sein
oder der König?
Gewiss ist es besser, der Assassine zu sein, mein Herr.
Denn die Namen ermordeter Könige sind schon bald vergessen.
Doch niemand vergisst das Aufblitzen der Klinge.
Den Würgegriff der Schlinge.
Den vergifteten Kelch.
Dies sind die Waffen, vor denen die Menschen zittern.
Dies sind die Waffen, die sie in ihren Träumen verfolgen.
»Und die Waffen, vor denen sich die Menschen fügen, verleihen jenen Macht, die sie zu benutzen wissen. Möge diese Macht unser sein; um sie einzusetzen, wie wir es für richtig halten«, beendet der Mann das Credo.
»Amen«, erwidern seine Mitverschwörer.
Das sind die Assassinen
, denke ich.
Und ich bin mitten unter ihnen.
Sie stellen ihre Sessel und Stühle zu einem Kreis und laden mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Dann werden Pläne geschmiedet. Sie haben sich selbst Decknamen gegeben; jeder ist nach einer tödlichen Pflanze benannt: Fingerhut, Silberkerze, Rhododendron, Narzisse. Ich höre zu, während sie ihre Intrigen spinnen. Jeder verräterische Gedanke ist ein neues Scheit auf dem Freudenfeuer ihrer Boshaftigkeit, das sie gemeinsam errichten. Und es scheint, als ob sie erst dann zufrieden wären, wenn der Brand ganz England vernichtet hat. Jeder spricht für sich, aber ihre Absicht hat eine einzige Stimme.
»Die Revolution ist ein heilendes Fieber, das alle Grenzen überwindet und sich von einer Nation zur anderen ausbreitet. In unserem Land hat diese gesegnete Infektion bereits Fuß gefasst. Viele Menschen in England sehnen sich nach Veränderung, und wir gehören zu den mächtigsten unter ihnen. Als solche möchten wir die Krankheit auf ihren Höhepunkt treiben, damit sie ihre reinigende Kraft voll entfalten kann.«
»So wie der Arzt einen Patienten zur Ader lässt, um üble Säfte aus dem Körper zu vertreiben, müssen auch wir den Patienten bluten lassen, dieses England, bis die Krätze aus dem Körper gewichen ist.«
»Blut wird fließen, daran gibt es keinen Zweifel. Viel Blut. Aber zunächst müssen wir einen Tumor entfernen, einen Tumor in Form eines gekrönten Haupts …«
Ihre Pläne gehen weit über die Grenzen Englands hinaus, denn auf diese Weise ist es sicherer – im Ausland und außer Reichweite der königlichen Wachen. Von einem Ball ist die Rede, von einem Kostümball, einer Maskerade … einer versiegelten Flasche Wein, die vor dem König entkorkt wird, um jeglichen Verdacht auszuräumen … ein tödliches Glas, im letzten Moment präpariert, gereicht von einer verführerischen Sirene, ruchlos, todesverachtend und wunderschön …
Der grauhaarige Mann, den die anderen Eisenhut nennen, zieht mich auf seinen Schoß. Mit einer von Altersflecken übersäten Hand hält er mich fest, mit der anderen streichelt er
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