Die Poison Diaries
englischen König hierherbringt, ist keine gute Nachricht, denn wenn ihm etwas zustößt, werden wir dafür verantwortlich gemacht. Es könnte ein Krieg ausbrechen. Ein Anschlag auf einen europäischen Herrscher würde das Ende für Padua bedeuten, für die Universität, für alles.«
»Aber warum sollte jemand den König töten wollen?«, frage ich und schäme mich für meine Unwissenheit.
»Revolution.« Dr. Carburi wischt sich die Stirn mit einem blutroten Seidentuch ab. »Wenn man den König ermordet, bricht Chaos aus, bis ein neuer Haufen von Tyrannen die Macht ergreift. Aber wir sollten jetzt eintreten; höher hinauf geht es nicht, und die Sezierung wird bald beginnen …«
Er betritt das Auditorium durch eine kleine Tür. Wir folgen ihm.
Der Blick von dem obersten Rang ist schwindelerregend; es ist, als würde man in einen Brunnen blicken. Ganz unten wartet der lange rechteckige Tisch.
»Grandiose Aussicht, was?« Dr. Carburi dreht sich zu Signora Baglioni um. »Gibt es im
Orto botanico
nicht gewisse Pflanzen, mit denen erheblicher Schaden angerichtet werden kann?«
»Natürlich, wenn man weiß, wie man sie anwenden muss.«
Er nickt. »Achten Sie gut darauf, wer den Garten betritt. Hüten Sie sich vor Dieben. Es ist schade, dass die Pflanzen sich nicht selbst bewachen können. Was sie uns alles erzählen könnten! Wenn sie nur in der Lage wären zu sprechen …«
Von den unteren Rängen dringen aufgeregte Gesprächsfetzen zu uns empor, als zwei Männer in blutbesudelten Schürzen den Saal betreten. Gemeinsam drücken sie mit dem ganzen Gewicht ihrer Körper auf eine Längsseite des Tischs, dessen Platte sich daraufhin zu neigen beginnt, bis sie ihre Unterseite vollständig nach oben gekehrt hat und dort einrastet. Mit Gurten festgezurrt, sieht man darauf den nackten Leichnam einer Frau liegen. Die Menge raunt auf und applaudiert.
»Bravo!« Dr. Carburi wirft sein Cape ab und enthüllt eine leicht zerknitterte Orchidee in seinem Knopfloch. Aus der Tasche zieht er ein kleines Teleskop. »Dieser doppelseitige Tisch ist eine wahrhaft geniale Erfindung.«
Gib acht
, flüstert die sterbende Orchidee.
Während die beiden Helfer die Tischplatte in ihrer Position fest verkeilen, tritt ein Mann in einem wehenden weißen Kittel ein. Er verbeugt sich tief. Als er sich wieder aufrichtet, hebt er den rechten Arm. Er hält ein silbernes Messer in der Hand.
»Professor Scarpa«, erklärt Carburi eifrig und hält sein Opernglas an das rechte Auge. »Die Sezierung wird gleich beginnen.«
»Warum?«, wispere ich der Blume zu. Signora Baglioni wirft mir einen warnenden Blick zu, sagt aber nichts. Carburi ist viel zu sehr mit dem Teleskop und den Ereignissen im Anatomie-Saal beschäftigt, um mich wahrzunehmen.
Der Geiger hebt sein Instrument, und die anderen Musiker folgen seinem Beispiel. Als das Messer den ersten Schnitt vollführt, setzt die Musik ein.
Ich beuge mich vor, als ob ich besser sehen wollte, aber in Wahrheit will ich nur der todgeweihten Blume näher kommen. Mit der Aufbietung ihrer letzten Kraft sagt die Orchidee:
Wenn der Giftprinz seine Macht aller Welt demonstrieren wollte, was für eine bessere Möglichkeit gäbe es wohl, als einen König zu vergiften?
Kapitel 14
S
ei charmant, meine Liebe.
Das war Oleanders letzte Anweisung.
Diese Männer sind meine treuen Gefolgsleute, obwohl sie es nicht wissen. Sie denken, dass die Stimme der Vorsehung zu ihnen spricht oder die Stimme ihrer eigenen Ambitionen, aber sie gehorchen mir, mir allein. Ich will, dass du dich ihnen untertan machst, denn ihre und meine Ziele sind eng miteinander verknüpft. Für den Augenblick.
Ich weise den Kutscher an, mich am Dienstboteneingang abzusetzen. Ein stummer Butler mit dünnen, gewölbten Augenbrauen lässt mich in das stattliche Anwesen ein und führt mich in ein reich ausgestattetes Privatgemach. Ich weiß nicht, was ich hier soll.
Im Zimmer halten sich sechs Männer auf. Drei davon sitzen in Sesseln vor dem Feuer, einer hat sich auf einem Diwan ausgestreckt und die restlichen zwei stehen an den Bücherregalen und betrachten gelangweilt die Buchrücken. Die drei jüngeren sind kaum älter als dreißig und wirken kraftvoll und zielstrebig. Ihre Nasenflügel beben wie die Nüstern von Rennpferden. Die älteren Herren haben dicke Bäuche und tragen Kniebundhosen. Mit ihren weißen Perücken, den Rüschenhemden und den Samtwesten sehen sie lächerlich aus.
Sie betrachten mich mit neugierigen und auch skeptischen
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