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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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so lange dort zu verweilen, bis er wenigstens die ersten Wörter dieses immensen Diskurses von Häusern, Menschen, Geschichten, Gelächter und unvermeidlichem Weinen gelernt hat. Für andere ein mythologisches Tier, führt die Alfama ihr eigenes, schwieriges Leben. Zu manchen Zeiten ist es ein gesundes Tier, zu anderen kauert es sich in eine Ecke und leckt sich die Wunden, die Jahrhunderte der Armut ihm geschlagen haben, und davon wird es nie geheilt. Und dennoch haben diese Häuser ein Dach. Hier haben sich nicht die Augen des Reisenden vor Behausungen geschlossen, denen ein Dach fehlt, weil sie gar keine Häuser sind.
    Ein Stück weiter liegt das Militärmuseum, vollgestopft mit Ruhm, Fahnen und Kanonen. Hier muss man sich sehr aufmerksam und mit wachem Kopf umsehen, um das Zivile zu suchen und zu finden, das in allem steckt, in der Bronze der Büchse, im Stahl des Bajonetts, in der Seide der Standarte, dem dicken Tuch der Uniform. Der Reisende hegt den originellen Gedanken, dass jeder Zivilist zum Militär werden kann, hingegen es für einen Militär sehr schwierig ist, Zivilist zu werden. Es gibt Missver-ständnisse, die genau darin ihre Wurzel haben. Eine gefährliche Wurzel, nebenbei bemerkt.
    Dieser Teil der Stadt besitzt keinerlei Schönheit. Der Reisende bezieht sich dabei nicht auf den Fluss, denn der findet, obwohl von Lagerschuppen verunstaltet, immer einen Sonnenstrahl, den er aufnehmen und zum Himmel zurückschicken kann, sondern auf die Gebäude, die alten, die wie Mauern mit Fenstern aussehen, und die neuen, die anmuten, als wären sie das Abbild geisteskranker Träume. Nur gut, dass der Reisende das Kloster Madre de Deus vor sich hat.
    Von außen betrachtet ist es eine riesige Wand mit einer manuelinischen Tür über einem halben Dutzend Treppenstufen. Man muss wissen, dass diese Tür falsch ist. Hier liegt der kuriose Fall vor, dass die Kunst die Kunst kopiert hat, um die Realität wiederherzustellen, ohne sich darum zu kümmern, ob es die Realität war, die die kopierte Kunst kopiert hat. Das klingt wie eine Scharade oder ein Zungenbrecher, aber es ist die reine Wahrheit. Als man 1872 die manuelinische Fassade des Klosters Madre de Deus restaurieren wollte, ging der Architekt ins Museu da Arte Antiga, studierte das Gemälde Retábulo de Santa Auta und zeichnete Linie für Linie, nur etwas nach oben verlängert, das Portal ab, durch das die Prozession mit dem Reliquienschrein eintritt. João Maria Nepomuceno fand seine Idee so genial wie das Ei des Kolumbus, und vielleicht war sie das auch. Schließlich hat man, um das vom Krieg zerstörte Warschau wiederaufzubauen, auf Bilder des Venezianers Bernardo Bellotto zurückgegriffen, der sich dort im 18. Jahrhundert aufgehalten hat. Nepomuceno lebte vor ihm, und er wäre ein Narr gewesen, hätte er den dokumentarischen Beleg, den er zur Hand hatte, nicht genutzt. Aber wir alle stehen als Narren da, wenn das Portal von Madre de Deus letztlich doch nicht so ausgesehen hat.
    Obwohl die dekorativen Elemente in der Kirche, dem erhöhten Chor und der Sakristei aus verschiedenen Epochen stammen (vom 16. bis zum 18. Jahrhundert), vermitteln sie den Eindruck großer stilistischer Einheitlichkeit. Der Eindruck mag zum Teil von der goldenen Pracht herrühren, in die alles gehüllt ist, aber treffender wäre wohl, zu sagen, dass er in erster Linie auf der hohen künstlerischen Qualität beruht. Die großzügige Beleuchtung, die kein Relief im Dämmerlicht schlummern, keine Farbnuance verblassen lässt, trägt zu der Euphorie bei, die der Reisende empfindet. Er, der so heftig gegen gewisse Auswüchse von vergoldeten Schnitzereien protestiert hat, wenn sie die Architektur ertränken, stellt fest, dass er hier sogar vom Rokoko der Sakristei überwältigt ist, fraglos eines der vollendetsten Beispiele für ein religiöses Gefühl, das wir im Portugiesischen als den »Geist der Sakristei« bezeichnen. Mögen die Wände mit noch so vielen frommen Bildern bedeckt sein, die Bilderrahmen und Altarstücke zeugen mit ihren Muscheln, Federbüscheln, Palmzweigen, ineinander verschlungenen Voluten, Blumengirlanden und Festons vom sinnlichen Reiz der Welt. Um das Göttliche zum Ausdruck zu bringen, ist alles mit Gold überzogen, doch das äußere Leben sprengt die Dekoration.
    Der Chor ist ein Schmuckkasten, ein Reliquienschrein. Um das Unausdrückbare auszudrücken, hat der Bildhauer sämtliche stilistischen Mittel verwendet. Der Besucher verliert sich in der Formenfülle,

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