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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition)
Autoren: José Saramago
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das Privatgrundstück mit Schloss und Gartenanlage zu gelangen, stößt er auf eine offene Holzpforte, einen Weg ohne jegliches Hindernis, abgesehen von zwei Hunden, die sich nur über die Fliegen ärgern, die sie beim Schlafen stören, und während er die Treppen hinaufund hinuntergeht, sich ansieht, was es anzusehen gibt, taucht kein Mensch auf, um ihn zu vertreiben, geschweige denn zu fragen, was er dort suche. Zwar ist die Eisenpforte zur dritten Ebene verschlossen, doch gibt es auf dieser Seite genügend Interessantes. In der Anlage des Gartens, der Fülle von Statuen und Büsten, den Balustraden und der Ausschmückung mit Azulejos mischen sich Stilrichtungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Für zwei große ruhen- de Statuen von Venus und Diana bilden Azulejo-Paneele mit exotischen Vögeln und Pflanzen mit deutlichem Art-Nouveau-Charakter den Hintergrund. Und die Büsten auf den Gesimsen zeigen dem Reisenden die nicht überraschenden Gesichter der Dichter und Schriftsteller Herculano, Camões, Castilho und Garrett sowie unerwartet das Gesicht des Marquês de Pombal. Hätte der Reisende von Dornröschenschlössern nicht so feste Vorstellungen und würde die Erinnerung an das geheimnisvolle Abendlicht in Junqueira aus seinem Gedächtnis schwinden, dann würde er vielleicht diese Gartenanlage und diese Architektur übernehmen. Doch das Licht ist zu grell, hier gibt es keine Geheimnisse, obwohl der Ort unbewohnt wirkt. Der Reisende nimmt hin, was er sieht, sucht nicht nach Bedeutungen oder einer bestimmten Atmosphäre, und dass hier die Büsten des deutschen Kaiserpaars stehen, findet er kurios, mehr nicht. Das Wasserbassin ist leer, das grelle Weiß des Marmors schmerzt in den Augen. Der Reisende setzt sich auf eine Bank, lauscht dem unermüdlichen Gesang der Zikaden und lässt sich davon fast in den Schlaf singen. Er ist tatsächlich eingeschlafen, denn als er aufwacht, weiß er zunächst nicht, wo er sich befindet. Vor sich sieht er einen verfallenen Gartenpavillon, er stellt sich die Feste vor, die früher dort bei Musik stattfanden, die lustwandelnden Paare, die Tänze durch den Park, und reckt sich sehr menschlich – das Leben hier muss schön gewesen sein. Schließlich steht er auf, äugt durch ein paar farbige Glastüren und erblickt im Dämmerlicht den herrlichen arabischen Stuck an der Decke, eine Krippe und andere Szenen von Christi Geburt. Den Bewohnern dieses Schlosses gefielen nur die angenehmen Episoden seines Lebens. Der Reisende kann sich nicht beklagen, er hat eine offene Pforte vorgefunden, was will er mehr?
    Die Ruinen der römischen Siedlung in Milreu liegen nur ein Stückchen weiter südlich. Sie sind ungepflegt und verdreckt. Trotz alledem zählt das, was vorhanden ist, zu den vollständigsten Ruinen, die es im Land gibt. Der Reisende besichtigt sie in glühender Sonne, macht das Beste daraus, doch bedauert, dass niemand da ist, der ihm die Details erklärt, ihn genau hinsehen lehrt. Am meisten Verständnisschwierigkeiten hat er bei einem verfallenen Haus auf der oberen Ebene, in seinem Innern gibt es niedrige Futtertröge, und vom Viehstall gelangt man direkt in Räume, die vermutlich von Menschen bewohnt wurden. Wo kam das Vieh herein? Und was besagt das Azulejo-Bild an der Frontseite mit der Darstellung eines alten Mannes und dem lateinischen Wort Caritas, Barmherzigkeit? Dem Reisenden wird auf einmal melancholisch zumute. Vielleicht liegt es an den Ruinen, vielleicht an der Hitze, vielleicht an seinem eigenen Unverständnis. Er beschließt, mehr besiedelte Orte aufzusuchen, und fährt weiter nach Faro, der Provinzhauptstadt.
    Dort erwartet ihn der Küstenwind. Doch der Reisende ist so von der Hitze zermürbt, so deprimiert, dass die steife Brise von hoher See in seinem Gesicht stimulierend wie ein rasch erfrischendes Tonikum wirkt. Schon allein deshalb müsste er Faro dankbar sein. Doch gibt es dafür noch etliche andere Gründe: Hier wurde 1487 die zweitälteste portugiesische Inkunabel gedruckt. Es mag seltsam anmuten, dass Faro für einen zweiten Platz in der Chronologie der Druckerkunst genannt wird und nicht für einen ersten, doch streitet man sich immer noch darüber, ob tatsächlich Leiria mit den Coplas des Connetable Dom Pedro der erste Rang gebührt oder Faro mit dem in der Werkstatt des Juden Samuel Gacon gedruckten Pentateuch . Wenn das den Coplas zugeschriebene Datum 1481 stimmt, wäre Leiria der Sieger; wenn nicht, dann hätte Faro gewonnen. Wie dem auch sei, ein zweiter
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