Die Praktikantin
ran. Ich löste zwei Aspirin plus C in meinem Zahnputzbecher auf, trank die Lösung, noch während sie sprudelte, und hoffte, die Kopfschmerzen würden diesmal nicht erst nach einer halben Stunde nachlassen. Ich erbrach mich ein letztes Mal über der Badewanne, |128| schickte Grainer eine E-Mail, dass ich heute später oder gar nicht kommen würde, und legte mich wieder ins Bett.
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|129| NEUNZEHN
Ich hatte Sonja eine SMS geschrieben, kurz bevor Walder zu mir ins Auto gestiegen war: »Ruf mich in fünfzehn Minuten an. Unbedingt!« Der Abend war bis dahin harmlos verlaufen, aber ich wollte nichts riskieren. Wenn Walder am Ende doch so sein sollte wie all die Chefs, vor denen mich Sonja und Beate selbst noch beim Frühstück nach unserer Bowlennacht gewarnt hatten, würde mich der Anruf im Zweifelsfall vor peinlichen Szenen und den Chefredakteur vor einer Ohrfeige retten.
Ich hatte lange überlegt, ob ich für den Abend mit Ostwasser absagen und den Kontakt zu Walder beenden sollte. Doch dann hatte er noch einmal bei mir angerufen, mich für einen Text gelobt, den er in der Online-Ausgabe des
Badischen Kuriers
gelesen hatte, und gesagt: »Sie entwickeln sich immer weiter, Elisabeth, Sie sind auf dem richtigen Weg. Wir müssen dringend mal darüber sprechen, wie es nach der Zeit da unten mit Ihnen weitergeht.«
Das klang ehrlich und nicht danach, als ob er irgendwelche Gegenleistungen dafür erwarten würde. Überhaupt war Walder nicht der Typ dafür. Manchmal fragte ich mich, ob er überhaupt ein Mann war, der sich für Frauen interessierte. Frau van Daggelsen hatte ihn nicht ein Mal in weiblicher Begleitung gesehen, erzählte meine Mutter mir ungefragt. Sonja fand, dass er auf dem Foto, das seit kurzem auf der Internetseite der
Wützener Zeitung
war, nicht besonders männlich aussah, nicht wie ein Macho jedenfalls. In seiner kurzen Vita stand in der Rubrik »Fami lienverhältnisse « nur: ledig. Was aber auch heißen kann: ›Bin auf der Suche‹, hatte Beate gesagt.
Am Ende war die Hoffnung, mit Walders Hilfe einen Job zu finden, größer als die Angst davor, so zu enden wie Sonja. Also |130| in seinem Bett. Trotzdem traf ich vor dem Abend in der Wurstfabrik maximale Sicherheitsvorkehrungen. Ich zog meinen biedersten Hosenanzug an, wusch mir die Haare nicht, sondern band sie bloß zu einem Zopf zusammen, schminkte nur die Augen dezent. Das Parfüm mit den Sexuallockstoffen, das Martin so liebte, obwohl er derartige Stimulierungen angesichts unserer langen Trennungen nun wirklich nicht brauchte, tauschte ich gegen ein Eau de Cologne von Oma. Ich zog eine mittellange, graue Unterhose an, damit sich mein Hintern so wenig wie möglich abzeichnete. Ich hatte ein paar Mal bemerkt, dass Walder mir auf den Arsch geguckt hatte. Diesmal sollte ihn auch das nicht reizen.
Als ich ihn dann sah, wie er vor dem gläsernen Salon auf dem Dach der Wurstfabrik die Gäste begrüßte, mit leicht rotem Kopf, die Haare nicht ganz so akkurat wie sonst nach hinten gegelt, schämte ich mich fast für meine Ängste und Vorurteile. Trotzdem blieb ich steif und distanziert, als er mich freudestrahlend begrüßte, sagte nur ein, zwei Sätze und war froh, Frank zu entdecken, einen alten Skatfreund meines Vaters. »Elisabeth«, sagte er, »was machst du denn hier?«
Das fragte nicht nur er sich. Rita Bolzen hätte auch nicht überraschter ausgesehen, wenn Papst Benedikt aus dem Fahrstuhl gekommen wäre. Sie fotografierte meine Begrüßung mit Walder, als bräuchte sie die Bilder für eine spätere Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht. Robin Batz, der auch zum Anzug weiße Tennissocken trug, sah mich mit offenem Mund an und verzog diesen zu einem miesen Grinsen: »Sieh an, die Frau Praktikantin.«
Was tat ich hier? Als was würde mich mein ehemaliger Chefredakteur vorstellen? Würde er mich überhaupt irgendjemandem vorstellen? Und wo würde ich sitzen? Die meisten Stühle waren schon besetzt, fast alle Gesichter kannte ich aus der Zeitung, manche sogar aus dem Fernsehen. Als Heinrich Ostwasser mit Baron von Alsleben zur Werksbesichtigung verschwand, fragte ich Walder, wo ich denn hinsollte.
|131| Er wurde hektisch, als ob er sich darüber noch keine Gedanken gemacht hätte, verschwand kurz, sprach mit Batz und bat mich an den größten Tisch, genau in der Saalmitte. Bevor ich ihm zu verstehen geben konnte, wie peinlich es mir war, hier Platz zu nehmen, und während ich registrierte, dass ich neben Rita Bolzen die einzige Frau
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