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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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im Raum war, saß ich schon Ostwasser und Walder gegenüber.
    Der Abend war so, wie ein Abend nun einmal ist, wenn eine junge Frau zusammen mit älteren Männern an einem Tisch sitzt. Nachdem Walder mich als »unser größtes journalistisches Talent« vorgestellt hatte, ich rot angelaufen war und »guten Abend, freue mich sehr, hier dabei sein zu dürfen« geflüstert hatte, überboten sich die Herren in ihrer Wichtigkeit und der Flughöhe ihrer politischen Äußerungen. Es redete vor allem Ostwasser, auf den außer Walder alle blickten. Der schaute meist zu mir herüber, prostete mir zu, trank aber fast immer allein. Sonja hatte mir geraten, nicht mehr als eine Weinschorle zu bestellen, und daran hielt ich mich. Außerdem spürte ich noch immer die Nachwehen des unfreiwilligen Erdbeerbowlenexzesses.
    Weil mir spätestens nach Ostwassers Vortrag niemand mehr Beachtung schenkte, hatte ich genügend Zeit, Herrn Walder zu beobachten. War er wirklich eine Gefahr? Er vertrug den Cognac nicht, den ihm der Politiker nachschenken ließ, hatte sich mehrfach mit den Ellenbogen aufgestützt und einmal sogar den linken Arm unter der Tischkante verschwinden lassen. Wenn Oma da gewesen wäre, hätte sie gefragt: »Angeln Sie?«
    Den schlimmsten Fauxpas leistete er sich, als ihn Ostwasser auf seine Kleidung ansprach. Was der FDP-Kandidat im Einzelnen gesagt hatte, war an mir vorbeigegangen. Dass Walder antwortete, er habe seine rosafarbene Krawatte extra für ihn gekauft, hörte ich dagegen wie der Rest des Tisches genau. Ich verschluckte mich vor Schreck an meiner Schorle, sah Walder scharlachrot anlaufen und war für einen kurzen Moment erleichtert, weil ich dachte, dass mein ehemaliger Chefredakteur vielleicht |132| tatsächlich die gleiche sexuelle Neigung hatte wie der Politiker. Herr Walder schwul, das wäre die Rettung. Ich lachte befreit, und es schien das Einzige, was er in dieser Situation registrierte.
    Natürlich war das alles Quatsch und Walder mindestens so heterosexuell wie Sonjas Professor oder Beates Kurt. Das bekam ich zu spüren, nachdem ich nur einmal meiner guten Erziehung Vorrang vor meinen Sicherheitsmaßnahmen gegeben und dem sichtlich Angetrunkenen angeboten hatte, ihn nach Hause zu fahren. Ich hatte gehofft, er würde ablehnen, weil er zu Fuß kaum länger brauchen würde. Aber er saß genauso schnell im roten Blitz, wie ich brauchte, um Sonja eine SMS zu schreiben.
    Als er eine knappe Viertelstunde später wieder ausstieg, hatte ich Tränen in den Augen. Nachdem er die Tür zugeschlagen hatte, gab ich Vollgas, fuhr die Straße bis ans Ende, dann rechts auf den Wützener Landweg und zwei Ecken weiter auf den Reiterhof Quartier. Ich hielt kurz hinter der Einfahrt, sprang aus dem Auto, ging ein paar Schritte zur Pferdekoppel, auf der ich als Teenager den Großteil meiner Freizeit verbracht hatte, und wählte Sonjas Nummer.
    »Elisabeth, was ist denn los? Warum sollte ich anrufen?« Sonja klang besorgt. »Engelchen, weinst du?«
    Ja, ich weinte. Ich fühlte mich benutzt von einem Chef, den ich vor allen in Schutz genommen hatte. Ich war enttäuscht über seinen plumpen Annäherungsversuch und über meine ausgebliebene Reaktion. Als er mich in den Arm genommen hatte, war ich erstarrt wie das Opfer eines Vergewaltigers. Mein Verstand hatte meine Instinkte blockiert. Ich wollte Walder eine scheuern, wie ich es bei jedem Mann in so einer Situation getan hätte. Aber es ging nicht. Ich dachte an das sich wohl immer und überall wiederholende Schicksal von Praktikantinnen, an die miesen Aussichten der Generation Praktikum, zu der ich zählte. Ich dachte an meine Zukunft und seine Kontakte. Also ließ ich ihn gewähren, spürte seinen Mund auf meinem Hals |133| und versteifte lediglich den Nacken. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter, ich zog meine Arme so eng wie möglich an den Körper. Als ich überlegte, was ich tun würde, wenn er versuchen würde, mich auf den Mund zu küssen, klingelte endlich das Handy.
    »Das war die Rettung«, sagte ich Sonja, die meinen Bericht nur zwei Mal mit »Ich hab’s dir doch gesagt« und »das Schwein« unterbrochen hatte. »Vielen Dank. Was soll ich jetzt machen?«
    »Ich würde den Typen an deiner Stelle vergessen, Engelchen. Das Einzige, was der dir bringt, sind Probleme. Nicht mehr anrufen, nicht mehr anrufen lassen, keine SMS, keine Mails.«
    Wahrscheinlich hatte sie recht.
    »Aber dann hätte ich das eben alles umsonst ertragen. Für die miese Szene im Auto will ich

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