Die Priesterin: Wild Roses, Staffel 1, Band 4 (German Edition)
Sohn ist in einem Alter, in dem man ihm jede Erkenntnis mit dem Riemen einprügeln muss. Gib nicht ihm die Schuld für seine Unverschämtheiten, sondern mir, weil ich nicht streng genug bin.“
Goraidh lächelte, sodass sein faltiges Gesicht aussah wie ein Winterapfel. „Jeder im Dorf weiß, dass Connor dein Ein und Alles ist“, sagte er milde. „Wie kann ich einer Mutter vorwerfen, dass sie ihr einziges Kind liebt?“
Connor, der den Wortwechsel schweigend angehört hatte und dabei ein wenig verlegen geworden war, räusperte sich. „Verzeih, ehrwürdiger Goraidh, dass ich dir gegenüber unverschämt gewesen bin.“ Er senkte den Kopf in einer demütigen Geste und wartete darauf, dass der Älteste ihm die Hand auf die Schulter legte.
Das tat Goraidh dann auch. „Du bist kurz davor, zum Krieger zu werden“, sagte er wohlwollend. „Deine Mutter kann sehr stolz auf dich sein.“
Glynis verzog den Mund bei seinen Worten, und Connor blickte ihr ins Gesicht. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, warf Goraidh ein: „Es ist für keine Mutter leicht, mit anzusehen, wie ihre Söhne zu Männern werden. Du musst nachsichtig mit ihr sein.“
Mit einem Ruck erhob sich Glynis von dem Schemel, auf dem sie die ganze Zeit gesessen hatte, und trat an das offene Herdfeuer, auf dem eine kräftige Suppe vor sich hinköchelte. Der Geruch nach Fleisch und Kräutern zog unter der niedrigen Decke der kleinen Hütte entlang. Glynis rührte die Suppe um und verbarg auf diese Weise ihre Gefühle vor den beiden so unterschiedlichen Männern. Ja, sie war stolz auf Connor, darauf, dass er ein aufrechter, freundlicher junger Mann geworden war, der wusste, was Mitleid und Fürsorge waren. Darauf, dass er hochgewachsen und kräftig aussah. Darauf, dass er sich verantwortlich fühlte – für sie, für die Schwächeren. Für Enora. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie an die zierliche, warmherzige Enora dachte, die Connor sich mit großer Wahrscheinlichkeit zur Frau erwählen würde. Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können, Connor war vorlaut und etwas großspurig. Enora hingegen wirkte mit ihrer stillen, bedächtigen Art eher schüchtern. Glynis hätte es niemals jemandem gegenüber eingestanden, aber sie freute sich bereits darauf, Großmutter zu werden. Wieder ein schutzbedürftiges kleines Wesen im Arm halten zu dürfen ...
Wenn nicht vorher die Römer kamen ...
Sie knirschte mit den Zähnen und legte den Löffel weg. Dann drehte sie sich zu Connor und Goraidh um. „Es gehen Gerüchte um“, sagte sie und hoffte, dass der Älteste ihr die Sorge nicht anhören konnte, die sie empfand, „dass Cäsars Armeen sich aus Süden nähern, um den Aufstand der Häduer niederzuschlagen.“
Goraidh nickte ernst. „Ich habe ebenfalls davon gehört. Wenn die Gerüchte tatsächlich wahr sind, stehen uns vermutlich schwere Zeiten bevor.“
Glynis ließ seine Worte im Raum stehen. Ihr Blick wanderte zu ihrem Sohn, und das Unbehagen und die Angst um ihn wuchsen. Was, wenn die Römer tatsächlich kommen und das Dorf angreifen würden? Connor war auf dem Weg, zum Mann zu werden. Und das bedeutete, dass er würde kämpfen müssen ...
2014
Glynis unterbrach ihre Erzählung, und der Film in Roses Kopf riss ab. Rose blinzelte, weil sie einen Moment brauchte, um wieder in die Gegenwart zurückzufinden.
Überrascht sah sie Enora an. „Du warst besonnen und schüchtern?“, fragte sie erstaunt. Sie dachte an die Enora, die sie kannte, die etwas zu laute, draufgängerische, sportliche Enora. Irgendwie passte das Bild, das sie von ihrer Freundin hatte, so überhaupt nicht zu dem, was sie eben über diese erfahren hatte.
Aber Enora zuckte nur die Achseln. „Du wolltest etwas über Glynis erfahren, nicht über mich.“
Also sah Rose fragend in Glynis’ Richtung. „Du hattest große Angst um Connor“, sagte sie. Sie dachte an die Dinge, die sie vor ihrem letzten Sprung über Branwen und den Fluch erfahren hatte. Glynis hatte das Ritual ausgeführt, das Branwen zur Morrigan gemacht hatte. Irgendwie also mussten die beiden Geschichten zusammenhängen.
Glynis räusperte sich. Dann erzählte sie weiter ...
56 v. Chr.
Unruhig wie ein gefangener Wolf marschierte Glynis in ihrer Hütte auf und ab. Die Gerüchte hatten sich bestätigt. Das römische Heer war auf dem Weg nach Erdeven, und ihrem Anführer, ein Mann, den sie Gaius Julius Cäsar nannten, eilte der Ruf voraus, ein großer Feldherr zu sein. Glynis hielt in
Weitere Kostenlose Bücher