Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
wären sie kleiner geworden, wachsamer. Sie blickten nicht haßerfüllt. Sie warnten.
Alena hatte sich Bruns Namen gemerkt, weil er bei der Ankunft am Rastplatz gerufen worden war, unter Gelächter. Die Männer hatten um einen kahlen, käferzerfressenen Baum herum gestanden, der mitten in der Mulde lag. Die Männer riefen immer nur wieder Bruns Namen, lachten und zeigten auf den Stamm. Brun lachte nicht, trat aber folgsam näher. Er verstand sofort, was sie meinten. Unter ihren bewundernden Blicken zog er sich das Hemd über den Kopf und warf es ins Moos. Bruns Schultern schienen an den Ohren anzusetzen; Nacken, Brust und Oberarmewaren ein einziger Muskelberg. »Ihr faßt mit an«, befahl er, stellte sich auf die eine Seite des Baumes, während die übrigen Männer sich auf der anderen Seite verteilten. Brun knickte in den Knien ein und griff unter den grauen Baumstamm. Die anderen taten es ihm gleich. Auf seinen Ruf hin hoben sie den Baum in die Höhe und hievten ihn über den Rand der Senke. Es war ihnen beim Anblick des Baumes gleich klargewesen, daß sie Brun brauchen würden.
Brun.
Er sah sie immer noch mißbilligend an. Alena ließ vorerst von Embricho ab.
Für die Nacht wurde sie an einen Baum am Rand der Mulde gebunden. Es war grauenvoll, im Sitzen mit nach hinten gebogenen Armen zu schlafen: Immer wenn sie einnickte, erwachte sie kurz darauf voller Entsetzen, hatte das Gefühl, umzufallen, einem Schmerz entgegenzusehen, der beim Aufprall einsetzen würde. Dann entdeckte sie, daß nur ihr Kopf nach vorn gestürzt war. Der Nacken wurde ihr steif durch das viele Sinken und Wiederaufrichten, aber sie konnte es nicht unterbinden, in halbem Schlummer quälte sie sich und konnte vor Müdigkeit keinen Ausweg ersinnen. Irgendwann legte sie den Kopf zur Seite auf die Schulter, und trotz eines reißenden Schmerzes im Hals schlief sie ein.
Bald wuchsen vor ihr aus dem Waldboden Disteln in die Höhe, und zwischen ihnen erhoben sich bleiche Gestalten, die sie als Mstislav und seine Gefährten erkannte. Schaudern ergriff sie, sie drängte zurück, wollte sich umkehren und laufen, aber die Stricke hielten sie fest. Kein Schrei kam über ihre Lippen, nur ein tierisches Würgen, ein Schnappen nach Luft.
Die Gestalten waren vollkommen nackt und ihre Körper weiß wie Ziegenmilch. An verschiedenen Stellen trugen sie Schnitte, Wunden, Risse im Fleisch. Mstislav öffnete den Mund: »Du führst jetzt den Auftrag weiter.«
»Ja«, keuchte Alena. »Ja, das mache ich.«
Nakon der Eber blickte sie finster an. »Und schicke uns jemanden, der uns zu den Hügelgräbern bringt. Mich verlangt danach, meine Ahnen zu sehen.«
Sie nickte.
»Tanz mir einen Trauertanz«, forderte Witzan, »halte ein Totenmahl ab.«
»Aber die Franken, sie werden das nicht erlauben.«
»Totenmahl!« donnerte Mstislav. Witzan grunzte bestätigend.
Dann sah sie, wie sich hinter ihnen Brun aufbaute. Er hielt ein Schwert in den Händen, groß wie ein Baum, hoch über den Kopf erhoben. Das warf er ihren Gefährten ins Genick. Geräuschlos trennte es die Köpfe von den Leibern. Alena wachte auf.
Der Morgen kroch mit grauem Licht zwischen die Sträucher. Jemand machte sich an ihren Fesseln zu schaffen. Kaum waren die Hände frei, trat Brun hinter dem Baum hervor. Alena fuhr zusammen.
»Austreten«, befahl er. »Wasserlassen, du verstehst?« Er machte die Geste eines Manns bei der Harnentleerung.
Während sie ihm hinter die Büsche folgte, dachte sie darüber nach, wie sie sein Mißtrauen überwinden könne. Das Lob seiner Kraft mochte ihn erweichen. Jeder Mann liebte es, wenn er von einer Frau bewundert wurde. Mitunter hatte Alena einem Gast in Vaters Haus die Oberarme befühlt. Bärtige, stämmige Männer waren zu Kindern geworden, wenn ein kleines Mädchen ihre Kraft bewunderte, fingen an, Unsinn zu treiben und ihre Stärke in kleinen Wettbewerben zu messen.
Sie begann es vorsichtig. Statt ihre Notdurft zu verrichten, blieb sie stehen und betrachtete Brun. Sie versuchte, Wohlgefallen in ihren Blick zu legen.
»Was willst du?« Brun zog die Stirn in Falten.
Die Schrecken des Traums kehrten zurück, dazu Bilder des Kampfes: wie Brun Witzan die Schwertklinge in dieBrust bohrte, wie er Nelet die Schulter spaltete. Mühsam schob sie die Unterlippe vor, setzte ihren kindlichsten Blick auf. Dann befühlte sie ihren Oberarm und deutete auf seinen.
Darf ich?
fragten ihre Augenbrauen.
»Vergiß es, Weib! Tu mit den anderen, was du willst, aber laß mir
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