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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Becher vom Mund und antwortete.
    »Bist du krank? Du lebst als Ausgestoßener, so wie du aussiehst.«
    »Meine Erinnerung ist tot.«
    »Das ist merkwürdig. Du weißt nichts? Weder deinen Beruf noch den Ort, aus dem du stammst?«
    »Nichts.«
    »Erstaunlich. Ich bin weit gereist, von China bis nach Flandern, von den böhmischen Silbergruben bis Arkona, aber mir ist noch niemand begegnet, dem seine Vergangenheit abhanden gekommen ist.« Schemuel fuhr sich nachdenklich durch den Bart. »Hör zu, ich habe ein Jahr ohne Überfälle hinter mir und möchte die Gunst des Allmächtigen nicht durch Hartherzigkeit verlieren. Werde dir helfen, verstehst du? Er sieht es gern, wenn man Güte zeigt. Ichkönnte dich nach Bardowick mitnehmen, aber ich vermute, du wirst deine Erinnerung eher dort wiederfinden, wo du sie verloren hast, also ist es besser, wenn du hierbleibst.« Er schlug Uvelan mit dem Handrücken an die Brust. »Ich hab’s. Warte einen Moment!« Dann sprang er vom Karren, holte ein Fell herunter und breitete es auf dem Waldboden aus.
    Eins nach dem anderen griff er aus dem Wagenbett einen Holzeimer, eine Axt, eine irdene Schüssel und ein Leinentuch. Wie erbeutete Tiere legte er die Gegenstände in einer Reihe auf das Fell. Dann befahl er einem der Bewaffneten, sich den Stiefel auszuziehen und ihn dazuzulegen. Der Speerträger gehorchte. Er entblößte einen schwarzfleckigen Fuß, humpelte näher und warf seinen Stiefel neben das Leinentuch. Es roch nach faulen Fischen. Nahe bei Schemuel raunte der Speerträger in fränkischer Sprache: »Und wenn es eine Falle ist? Wir sollten besser weiterfahren.«
    Schemuel beachtete ihn nicht. Statt dessen löste er sein Messer aus dem Gürtel und legte es in die Reihe. Er sprach weiter Slawisch: »Nun komm her, Uvelan. Schau dir jedes Ding an, lange und genau. Vielleicht ist ein Band der Erinnerung an eines davon geknüpft, und du kannst diesem Band zu deiner Vergangenheit folgen. Wenn du auch nur ein kurzes Zögern in dir verspürst, versuche, die Erinnerung zu packen und nicht loszulassen.«
    Uvelan trat an das Fell heran. Er ging in die Hocke, streckte die Hand nach dem Eimer aus. Das zerfaserte Holz war noch feucht. »Ein Eimer«, murmelte er. Zwei, drei Schritte watschelte er weiter, ohne aufzustehen. »Eine Axt.« Er tastete über die silbern schimmernde Klinge. »Da ist nichts. Was sollte da sein?« Wieder kroch er weiter. »Eine Schüssel.« Der Rand des Gefäßes war mit einem Wellenmuster verziert.
    »Sie gefällt dir? Du möchtest sie drehen, möchtest aus nasser Tonerde eine neue formen? Vielleicht hast du Geschirr getöpfert?«
    Uvelan zögerte. »Nein.« Er nahm das Leinentuch zwischen Daumen und Zeigefinger, befühlte es, hob es zur Nase und roch daran. »Nein, nichts.«
    Dann hockte er vor dem Stiefel. »Ein merkwürdiger Schuh.«
    »Das ist kein Schuh, es ist ein Stiefel.«
    »Richtig, die Franken tragen so etwas. Es macht, daß die Füße stinken.«
    Uvelan wendete sich zum Messer hin. Er schloß die Finger um den Griff. Ein goldener Funken glomm auf, mitten in der Dunkelheit. Klänge plötzlich, wie kurze Windböen. Licht, als würde er einen Atemzug lang die Augen öffnen und in die Vergangenheit hineinblicken. »Ein Messer«, sagte er, »ganz aus rotem Eisen.«
    »Aus Bronze, meinst du?«
    »Das Messer.«
    »Wenn es aus Bronze war, kann es nur ein Ziermesser gewesen sein.«
    »Nein.«
    »Beschreibe es!«
    »Klinge und Griff aus rotem Eisen. Muster mit drei Ecken sind darin eingegraben.«
    »Und nichts daran ist aus Holz, aus Knochen?«
    »Nein, nichts.«
    Sie schwiegen. Uvelan hatte die Augen geschlossen und hielt den Messergriff umklammert.
    »Versuche, dich an mehr zu erinnern! An einen Ort vielleicht.«
    Plötzlich gellte ein Schrei durch den Wald. Uvelan blickte die anderen an, aber sie standen still, gespannt. Wieder der Schrei. Es war Uvelans eigene Stimme, seine Kehle war warm. »Wohin bringt ihr mich?« Er sprang auf. »Sie … sie halten mich!« rief er. Ruderte mit den Armen. Schlug mit der Klinge um sich.
    Hände packten ihn an den Schultern, zogen ihn zu Boden. Eine Stiefelsohle donnerte auf den Unterarm herunter,bis er das Messer losließ. Es waren Schemuels Büttel. Jetzt richteten sie ihre Speerspitzen auf seine Brust.
    »Beruhige dich, Uvelan«, sagte Schemuel. Und in fränkischer Sprache, an die Büttel gewandt: »Packt die Sachen wieder in den Karren.«
    »Sie verschleppen mich nach Kamenica!«
    »Nach Kamenica. Es ist nur eine Erinnerung,

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