Die Principessa
wiederzuerlangen,doch die Fahrt zur Piazza Navona war viel zu kurz, als dass sie bis zur Rückkehr in den Palazzo Pamphili die Ungeheuerlichkeit hätte fassen können, die ihr soeben widerfahren war: Fabio Chigi jagte sie aus der Stadt – sie, Donna Olimpia, die Königin von Rom!
»Du willst verreisen?«, fragte Camillo verwundert, als sie am Abend mit Hilfe von einem Dutzend Dienern das Nötigste zusammenpackte. »Hast du Angst vor der Pest? Die wütet doch nur in Sizilien, und wie es heißt, besteht nicht die geringste Gefahr, dass sie je über das Meer …«
»Was kümmert mich die Pest!«, unterbrach sie ihn. »Alexander hat mich verbannt!«
»Verbannt? Alexander? Dich? Ich dachte, Fabio Chigi ist unser Freund. Du hast ihm doch selbst zur Wahl verholfen!« Er griff nach einem der obligatorischen Törtchen, die ein Diener ihm auf einem Tablett reichte. »Wenn du Kardinal Sacchetti nicht bestochen hättest, hätte der alte Schwanz nie und nimmer auf seine Kandidatur verzichtet und würde heute statt Alexander auf dem Thron sitzen.«
»Das war der größte Fehler meines Lebens.« Olimpia seufzte.
»So ein undankbarer Mensch! Und nennt sich Heiliger Vater! Widerlich! Da vergeht einem ja der Appetit!« Camillo schob sich ein weiteres Törtchen in den Mund. »Aber meinst du, du musst darum wirklich die Stadt verlassen?«
»Kannst du nicht eine Sekunde aufhören zu essen?«, herrschte sie ihn an. »Wie oft soll ich dir das noch sagen! Du bist fett wie ein Schnagel!« Olimpias Stimme überschlug sich, so laut sprach sie, und die Diener zogen die Köpfe ein, als erwarteten sie Prügel. Im nächsten Augenblick aber tat ihr der plötzliche Wutausbruch Leid. Was konnte Camillo dafür, dass Alexander sie ins Unglück stürzen wollte? Sie streichelte ihrem Sohn die Wange und küsste ihn auf die Stirn. »Verzeih mir, aber ich mache mir solche Sorgen. Auch um dich.«
»Heißt das, ich muss auch fort aus Rom?« Camillo verschluckte sich fast.
»Gott bewahre! Du musst hier bleiben und dafür sorgen, dass man uns nicht alles raubt, während ich von Viterbo aus versuche, die Gerechtigkeit wieder herzustellen. Hier«, sie reichte ihm eine dicke Ledermappe, die von Papieren nur so überquoll, »darin habe ich alles aufgeschrieben, was du zu tun hast, zusammen mit den Vollmachten, die du brauchst, um Geld von meinen Konten zu beziehen. Wer weiß, vielleicht hat sich in ein paar Wochen die Aufregung schon wieder gelegt und der Prozess findet überhaupt nicht statt. Bis dahin ist es am besten, wir halten still und tun so, als würden wir uns dem Willen des Papstes beugen.«
Auf einmal hatte sie das Gefühl, dass dies alles viel zu viel für ihren Sohn war. Er war doch erst Anfang dreißig, fast noch ein Kind! Sie nahm seine Hände und drückte sie. »Glaubst du, du wirst es schaffen?«
Camillo erwiderte ihren besorgten Blick mit einem Grinsen. »Wenn ich deine Vollmacht habe, heißt das, ich kann über das ganze Geld der Familie Pamphili verfügen?« Seine Augen leuchteten, als hätte man ihm eine gebratene Gans serviert.
»Ist das alles, was dich interessiert?«, erwiderte sie, einen neuen Wutausbruch unterdrückend.
Camillo legte seine Stirn in Falten. »Nein, da ist noch was«, sagte er. »Was passiert mit der Principessa, wenn du fort bist?«
»Was für eine kluge Frage«, rief Olimpia und tätschelte seine Hand. »Gut, dass du daran denkst, ich hätte es fast vergessen.« Sie sah ihrem Sohn fest in die Augen. »Sorge dafür, dass die Hure bleibt, wo sie ist! Ich werde mich nach meiner Rückkehr um sie kümmern. Doch jetzt muss ich mich beeilen. Ich habe vor meiner Abreise noch eine dringende Angelegenheit zu erledigen.«
4
»Oh Gott, komm mir zur Hilfe!«
Mit einem Gähnen in der Stimme sang die Vorbeterin den Eröffnungsruf, und kaum war dieser verklungen, antwortete die Gemeinde in dünnem Chor: »Herr, eile mir zu helfen!«
Wie jeden Abend um die neunte Stunde hatten sich die Nonnen in ihrer Kirche versammelt, um den Tag mit der Komplet zu beschließen, dem letzten der sieben Stundengebete, mit denen in der Ordnung des Glaubens der Ablauf des Tages geheiligt wurde. Eine der ehrwürdigen Frauen aber war aus der Gemeinschaft des Gotteslobes seit einer Woche ausgeschlossen: Schwester Chiara, Lady McKinney mit weltlichem Namen. Allein, als hätte sie Aussatz, stand sie draußen in der Dunkelheit, frierend mit ihren bloßen Füßen in den Sandalen, und fiel leise in das Lob des Dreifaltigen Gottes ein, das durch die
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