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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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ihr einziger Trost, sie half ihr zu überleben. Die Tage verbrachte sie in der Klosterbibliothek, um in den wenigen Büchern zu lesen, derer sie an diesem Ort habhaft wurde, des Abends aber, wenn sie nach der Komplet allein in ihrer Zelle war, begann sie zu schreiben, gleich jener Frau, der sie einst in einem anderen Leben ihr Gesicht geliehen hatte, rekonstruierte architektonische Pläne und Entwürfe, die sie gleichfalls in jenem anderen Leben gesehen hatte, und brachte sie zu Papier, um auf diese Weise ihren Geist wach zu halten.
    Während sie in ihren Aufzeichnungen blätterte, hörte sie, wie sich auf den Gängen und Fluren das nächtliche Leben im Kloster regte: Türen, die leise geöffnet wurden, huschende Schritte,heimliches Flüstern und unterdrücktes Lachen, das Rascheln von Kleidern, keuchender Atem und Stöhnen, dann kurze, spitze Schreie. Es war die Stunde der Sünde – wie jeden Abend nach der letzten Hora, wenn die Schwestern die vermummten Gestalten empfingen, die im Kloster gemeinhin als Pilger galten, tatsächlich aber aus der Stadt geritten kamen, um an diesem Ort der Fleischeslust zu frönen.
    Wie lange würde ihre Strafe noch dauern? Don Angelo hatte Clarissa mit dem Entzug der Gemeinschaft bestraft, weil sie Einspruch gegen seine Anweisung erhoben hatte, den Novizinnen den Zugang zur Bibliothek zu verwehren. Seitdem musste sie sich mit zur Erde gewandter Stirne bewegen und durfte niemanden ansprechen. Erst nach der Vesper bekam sie Speise, an einem gesonderten Tisch, mit nur so viel Zukost, Brot und Trank, wie Don Angelo es für nötig erachtete. Doch merkwürdig, je stärker sie ihrer äußeren Freiheit beraubt wurde, desto mehr schien ihre innere Freiheit zu wachsen. Während alles Verlangen, das ihr in früheren Jahren so oft zugesetzt hatte, durch die Kasteiung mehr und mehr zum Schweigen kam, entstand in ihr ein Gefühl von Kraft und Leichtigkeit. Kein äußerer Zwang konnte diese wunderbare Beschwingtheit ihres Innern dämpfen. Nur manchmal, wenn die sündigen Geräusche von draußen zu machtvoll in ihre Zelle drangen, spürte sie die Regungen ihres Leibes, und eine heimliche Frage wurde in ihr wach: Wenn sie frei war von den Nötigungen der Sinne – zu welchem Zweck war diese Freiheit gut?
    Clarissa verschloss sich die Ohren mit Pfropfen aus Rindertalg, den sie in der Kirche von den Kerzenresten des Marienaltars gesammelt hatte, eine Verfehlung, die ihr im Falle der Entdeckung weitere schwere Strafe eingetragen hätte. Doch konnte sie sich ohne diese Pfropfen nicht konzentrieren. Sie nahm einen Stift und zeichnete die Umrisse eines Brunnens: einen Obelisken, der sich über einem Becken erhob, dazu vier allegorische Figuren. Dann zeichnete sie einen zweiten Brunnen, doch diesmal mit vier Flussgöttern, die sich zu Füßen der Säule in den Flutenräkelten. Eine Grundidee, aber zwei völlig andere Ausgestaltungen – so verschieden wie die beiden Männer, die sie ersonnen hatten.
    Ob sie einander wohl immer noch bekriegten?
    Plötzlich wurden draußen Stimmen laut. Clarissa horchte auf. Die Geräusche kamen aus der Richtung des Siechenhauses. Lag eine Nonne im Sterben? Wenn eine Schwester dem Tode nah war, wurde an die Tafel im Kreuzgang geklopft, und alles lief, laut seinen Glauben bekennend, zu der Kranken. Clarissa beugte sich zum Fenster und schaute durch die Stäbe – dunkel und still lag das Siechenhaus da. Sie nahm die Pfropfen aus den Ohren, da hörte sie im Flur eine Männerstimme, die sie schon oft in ihrem Leben gehört hatte: »Das verbiete ich Ihnen! Verlassen Sie das Haus!«
    »Sie haben hier gar nichts zu befehlen!«, rief eine zweite männliche Stimme, noch lauter als die erste. »Wer sind Sie überhaupt?«
    »Ich bin Principe Pamphili. Dieses Kloster steht unter dem Schutz meiner Mutter – Donna Olimpia.«
    Draußen lachten jetzt ein paar Männer. »Donna Olimpia? Wer unter ihrem Schutz steht, hat ihn nötig.«
    Clarissa lief es kalt den Rücken hinunter. Was hatte das zu bedeuten? Sie löschte die Kerze und eilte zu ihrer Pritsche, doch sie hatte noch keine zwei Schritte getan, da ertönte ein Ruf: »Im Namen Seiner Heiligkeit!«
    Im gleichen Moment flog die Tür auf. Clarissa erstarrte. Draußen auf dem Flur, im Schein einer Fackel, stand Camillo Pamphili, nur mit einem Hemd bekleidet, ein ertappter Sünder, flankiert von zwei Soldaten, die ihre Säbel auf ihn richteten.

5
    »Der Herr segne dieses Mahl!«
    »Amen!«
    Der Abend war gekommen, das Tagwerk vollbracht.

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