Die Principessa
Voller Wohlgefallen schaute Virgilio Spada in die Runde, während er seinen Löffel in die Suppe tauchte. An der langen Tafel saßen mit ihm zwei Dutzend Frauen, von denen er jede einzelne so gut kannte, als gehöre sie zu seiner Familie: zwei Dutzend Schicksale, die nicht nur ein barmherziges Herz wie seines, sondern auch eines aus Stein erweichen konnten.
»
Per le donne mal maritate –
für unglücklich verheiratete Frauen«, stand über dem Eingang des Hauses geschrieben, das Spada vor zwei Jahren in der Gemeinde von Santa Maria Maddalena auf eigene Kosten hatte einrichten lassen und welches seitdem seine segensreiche Wirkung entfaltete. Hier fanden Frauen Zuflucht, die – sei es aus mangelnder Fürsorge ihrer Eltern, sei es aus mangelndem eigenem Urteilsvermögen – dem falschen Mann ihr Leben anvertraut hatten: einem Mann, der sie schlug oder misshandelte oder sie gar zwang, für ein paar Kupfermünzen ihren Leib zu verkaufen.
»Möchten Sie vielleicht noch eine Kelle, Monsignore?«, fragte Gabriella, ein bildhübsches Mädchen von siebzehn Jahren mit kastanienbraunem Haar und rosa Wangen, das an diesem Abend den Küchendienst versah.
»Sehr gerne«, sagte Spada, obwohl er bereits an der Tafel des Papstes zu Abend gegessen hatte, und reichte ihr seinen Teller. »Dieser Versuchung kann ich nicht widerstehen. Womit hast du die Suppe gewürzt, dass sie so köstlich schmeckt?«
Vor verlegenem Stolz lief Gabriellas hübsches Gesicht dunkelrot an, während sie all die Gewürze aufzählte, die sie benutzt hatte. Virgilio Spada war gerührt. Zu sehen, wie diese armen Magdalenen hier miteinander lebten, vor allem aber, wie sie in seinem Haus die Würde wiedererlangten, die sie draußen in der Welt verlorenhatten, war sein größtes Glück. Wenn er bedachte, wie verängstigt die meisten von ihnen noch vor kurzer Zeit gewesen waren, ohne Hoffnung, je wieder ihres Daseins froh zu werden, und dass manche sich wohl gar mit dem fürchterlichsten aller Gedanken getragen hatten, nämlich ihrem Leben vor der Zeit, die Gott der Herr ihnen auf Erden beschieden hatte, ein Ende zu bereiten – wie wollte er da zweifeln, dass Segen auf seinen Werken lag? Ja, vielleicht war es doch kein Zufall gewesen, dass er als zwölfjähriger Knabe beim Spiel mit einer Schildkröte auf dem Petersplatz als Erster in der Stadt am Himmel die Rauchsäule hatte erblicken dürfen, welche die Wahl Papst Urbans verkündet hatte. Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich, wie er am Morgen jenes Tages von zu Hause ausgerissen war und mit einem Straßenjungen seine teuren Kleider gegen dessen Lumpen und das Tier an einer Leine getauscht hatte. Seine Mutter war ganz aufgelöst gewesen vor Angst, als er am Abend nach Hause gekommen war, und sein Vater hatte befohlen, dass der Präzeptor, ein friedlicher Mann, der ihn in Latein und Griechisch unterrichtete, ihm sieben Hiebe auf das entblößte Gesäß brannte. Die Schmerzen spürte er bei der Erinnerung noch heute.
Ein Pochen holte Spada in die Gegenwart zurück. Die Frauen am Tisch blickten zur Tür.
»Würdest du bitte aufmachen, Gabriella«, sagte Spada. »Wir alle sind gespannt, wen Gott heute Abend wohl zu uns schickt.«
Während er sich wieder seiner Suppe widmete, um endlich den Teller zu leeren, öffnete Gabriella die Tür. Herein trat eine Barfüßerin in verschmutztem und zerknittertem Ordenskleid, als habe sie eine weite Reise hinter sich.
»Tritt näher, meine Tochter!«, forderte Spada sie auf. Doch noch während er sprach, hielt er in der Bewegung inne. »Principessa!« Er ließ den Löffel aus der Hand fallen und sprang von seinem Stuhl auf. »Täuschen mich meine müden Augen oder sind Sie es wirklich?«
6
»Es waren Soldaten der Schweizergarde«, erzählte Clarissa. »Sie kamen im Auftrag des Papstes. Sie haben das Kloster aufgelöst und den Abt davongejagt. Wären sie nicht gekommen, wäre Donna Olimpias Plan aufgegangen. Ich wäre für immer im Kloster geblieben, bei lebendigem Leibe begraben. Gott möge ihnen verzeihen«, fügte sie hinzu. »Ich kann es nicht.«
»Ja, diese Menschen gehören bestraft.« Spada nickte. »Sie haben Ihnen die Freiheit geraubt, um ihre eigene Haut zu retten, und einen Gott geweihten Ort in einen Sündenpfuhl verwandelt. Wenn ich daran denke, was Sie erlitten haben!« Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Aber sagen Sie – wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«
»Als ich in der Stadt ankam, bin ich zum englischen Hospital gegangen. Doctor Morris,
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