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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Kirchentüre wieder und wieder zu hören war: »Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste!«
    Während Clarissa durch das Gebet allmählich den Frieden des Herzens fand, war im Innern des Gotteshauses von Andacht wenig zu spüren. Anstatt sich in die Hora zu versenken, um von den Versuchungen des Tages abzulassen, schienen die Nonnen erst jetzt zum Leben zu erwachen. Sie wischten sich den Schlaf aus den Augen, mit dem die meisten von ihnen die Zeit seit dem Abendbrot verbracht hatten, erwiderten nur zerstreut die Rufe des Wechselgesangs, steckten die Köpfe zusammen, tuschelten und kicherten, während der Priester aus den Psalmen las. Nicht einmal beim heiligen Schweigen nach dem Magnificat kehrte Stille ein, als könnten sie alle gar nicht erwarten, endlich den Segen zu empfangen, um die wenigen Stunden, die zwischen der Komplet und der Matutina – die kurze Nacht der Welt zwischen dem letzten und dem ersten Stundengebet, in welcher das Wort Gottes verstummte – auf ihre Weise zu nutzen.
    »Benedicat vos omnipotens Deus: Pater et Filius et Spiritus sanctus!«
    »Amen!«
    Mit lautem Knarren öffnete sich das Kirchentor. Wie es die schwere Buße verlangte, die der Abt Don Angelo über sie verhängt hatte, warf Clarissa sich zu Boden. Eilig stiegen die anderen Nonnen über sie hinweg, eine jede bestrebt, möglichst rasch in ihre Zelle zu gelangen, ohne Clarissas Gruß mit einem
Benedicite
zu erwidern.
    Erst als die letzte Schwester im Kloster verschwunden war, durfte Clarissa sich vom Boden erheben. Sie klopfte sich den Staub vom Kleid, und unter den strengen Blicken Schwester Laetitias, einer älteren Nonne, der es bei Androhung gleich schwerer Strafe verboten war, ein Wort mit ihr zu reden, kehrte sie in ihre Zelle zurück, wo ihre Bewacherin sich mit stummem Kopfnicken von ihr verabschiedete, um sie für den Rest der Nacht einzuschließen.
    Clarissa sank auf den Schemel, der außer dem Tisch und ihrem Nachtlager, einer schmalen, mit einem Strohsack gepolsterten Pritsche, das einzige Möbelstück in ihrer Zelle war. Den Kopf in die Hände gestützt, schaute sie zum vergitterten Fenster hinaus, wo sich ein kleiner Fluss im Mondschein durch einen Wald schlängelte, dessen dunkle Wipfel sanft im Nachtwind wogten. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Nur aus der Fischerhütte am anderen Ufer des Flusses drang ein schwacher Lichtschein. Clarissa hatte keine Ahnung, wo sich das Kloster befand. Nonnen aus mehreren Barfüßerinnenorden waren darin untergebracht, doch kaum eine der Frauen war hier, um ihr Leben Gott zu weihen. Die meisten verbrachten ihre Tage an diesem weltabgeschiedenen Ort, weil sie in Rom ihren Familien zur Last fielen – aus welchen Gründen auch immer.
    Clarissa zündete eine Kerze an. Auch sie lebte an diesem Ort, weil sie jemandem zur Last fiel. Vier Jahre waren vergangen, seit Donna Olimpia sie vor Santa Maria della Vittoria hatte entführen lassen. Noch am Tage ihrer Ankunft im Kloster hatte man sie ihrer Kleider beraubt und sie gezwungen, diese gegen die graue Ordenstracht einzutauschen, die mit einem Strick statt den gewohntengoldenen Gürteln und Spangen zusammengehalten wurde. Mit dem Schleier auf dem Kopf, der ihr bis zu den Augenbrauen reichte, damit kein einziges Haar hervorschauen konnte, hatte sie das Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams abgelegt. Obwohl sie Küsterin in der Vorratswirtschaft oder Bursarin im Rechnungswesen hätte werden können, hatte sie sich dafür entschieden, in der Bibliothek ihren Dienst zu versehen, und seit jenem Tag keinen Fuß mehr vor die Tore des Klosters gesetzt. Der Abt persönlich überwachte sie, er war Donna Olimpias Gewährsmann – und ihr bereits bei der Ermordung ihres Mannes zu Diensten gewesen. Einmal im Monat suchte Olimpia ihn auf, um sich zu überzeugen, dass Clarissa in sicherem Gewahrsam war. Clarissa hatte bei diesen Gelegenheiten ihre Cousine ein paarmal aus der Ferne gesehen, doch hatten sie nie ein Wort miteinander gesprochen.
    In der Hütte am Fluss ging das Licht aus. Sicher wünschten der Fischer und seine Frau jetzt einander gute Nacht, um sich ihren Träumen anzuvertrauen. Clarissa beneidete sie – sie selber hatte keine Träume mehr. Sie war eine alte Frau von über fünfzig Jahren, die ihre Tage im Kloster beschließen würde, vergessen von den wenigen Menschen, die sie kannten.
    Mit einem Seufzer schlug sie das Buch auf, dem sie allabendlich ihre Gedanken anvertraute. Diese Übung war

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