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Die Prinzen Von Irland

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Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Der Berittene war
ein in eine Decke gehüllter Mann von mittleren Jahren. Über eine Seite seines
Gesichts liefen Striemen aus angetrocknetem Blut. Sie fragten ihn, was
geschehen sei.
    »Eine große
Schlacht«, rief er. »Dort droben.« Er deutete vage nach Süden. »Bei Gien Mama,
am Fuß der Berge. Brian Boru hat uns geschlagen. Wir sind vernichtet.«
    »Und wo ist Brian
Boru jetzt?«, fragte Morann.
    »Ihr habt ihn
verpasst. Er dürfte mit seinen Männern schon vor einer ganzen Weile hier
vorbeigekommen sein. Er muss geritten sein wie der Teufel«, rief er bitter.
»Inzwischen dürfte er bereits in Dyflin sein.«
    Morann presste
besorgt die Lippen zusammen. Osgar verspürte einen leichten Stich von Angst,
sagte jedoch nichts. Der Reiter zog weiter. Nach einer kurzen Pause wandte sich
Morann an Osgar:
    »Ich muss weiter. Aber
Ihr braucht nicht mitzukommen. Ihr könntet jetzt noch zu Fuß nach Kildare
zurückkehren und das Kloster erreichen, bevor es dunkel wird.«
    Osgar überlegte einen
Moment. Er dachte an seinen Onkel und das kleine Familienkloster. Und er dachte
an Caoilinn.
    »Nein«, sagte er.
»Ich werde mit Euch fahren.«
    Im weiteren Verlauf
des Nachmittags gerieten sie in einen Strom von Verwundeten. Einige besonders
schwer Verletzte, die nicht mehr gehen oder reiten konnten, wurden auf
Fuhrkarren transportiert. »Bei Gien Mama droben haben wir mehr Tote als Lebende
zurückgelassen«, sagten sie.
    Der kurze Nachmittag
neigte sich dem Ende zu, als vor ihnen am Ufer eines Flusses ein kleines
Kloster in Sicht kam. »Hier werden wir über Nacht bleiben«, sagte Morann. »Wenn
wir morgen früh genug von hier aufbrechen, werden wir Dyflin sehen, noch bevor
es Mittag wird.« Osgar bemerkte, dass bereits eine Menge Leute bei dem Kloster
Rast machten.
    *
* *
    Morann
war besorgt. Eigentlich hatte er den Mönch nicht mitnehmen wollen. Nicht, dass
er ihn nicht mochte, aber er bedeutete eine Komplikation, eine zusätzliche
Verantwortung, vielleicht sogar ein Risiko.
    Womit hatten sie zu
rechnen? Ein siegreiches Heer nach einer Schlacht ist eine gefährliche Bestie.
Raub, Plünderung, Vergewaltigung: Es war immer dasselbe. Selbst ein König mit
so starker Hand wie Brian würde seine Männer nicht ständig unter Kontrolle
halten. Die meisten Heerführer ließen ihren Truppen ein paar Tage lang die
Zügel schießen und nahmen sie anschließend wieder an die Kandare. Die Klöster
mit ihrem ummauerten Bereich würden vermutlich verschont bleiben. Dafür würde
Brian wohl sorgen. Aber sich in die Nähe von Dyflin zu wagen, das war
gefährlich. Wie würde der stille Mönch damit fertig werden? Aber noch etwas
anderes war zu bedenken. Morann wollte Astrid und ihre Kinder finden und ihnen,
falls notwendig, bei der Flucht helfen. Er wollte nicht, dass der Mönch einen
kostbaren Platz im Fuhrkarren beanspruchte. Er wünschte, Osgar wäre nicht
mitgekommen.
    Und doch musste man
ihn einfach bewundern. Das Kloster, in dem sie ihre Reise unterbrochen hatten,
war nur ein kleines Anwesen und wurde von weniger als einem Dutzend Mönchen
geführt. Sie waren es zwar gewohnt, Reisenden ein Obdach zu bieten, aber bei
Anbruch der Nacht fanden sie fünfzig oder sechzig erschöpfte und verwundete
Männer vor, manche von ihnen dem Tode nahe. Die Mönche versorgten sie mit so
viel Speisung und Wundverband, wie sie aufbringen konnten. Und Osgar ging ihnen
dabei zur Hand. Er gab dem einen zu essen und zu trinken, verband einem anderen
die Wunden und hockte bei einem dritten armen Kerl, dem keine Nahrung und keine
Bandagen mehr helfen konnten. Stundenlang tröstete er zwei Männer, deren
Lebenslicht im Verlöschen war, betete mit ihnen und gab ihnen, als es an der
Zeit war, die Letzte Ölung. Als der Morgen nahte, wären die Mönche sichtlich
froh gewesen, wenn Osgar noch geblieben wäre.
    »Heute Morgen werden
marodierende Stoßtrupps die Wege verunsichern«, sagte Morann zu dem Mönch.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht lieber hier bleiben wollt?«
    »Nein«, entgegnete
Osgar, »ich werde mit Euch kommen.«
    *
* *
    Der
Morgen war kristallklar, der Himmel strahlend blau. Die Gipfel der
Wicklow–Berge waren mit Schnee bestäubt, der im Sonnenlicht glänzte.
    Trotz der traurigen
Szenen, die er in der Nacht erlebt hatte, und der möglichen Gefahr, die vor
ihnen lag, war Osgar guter Dinge. Bald würde er Caoilinn Wiedersehen. Der erste
Teil ihrer Weiterfahrt verlief ruhig, und der Mönch ließ ein wenig seine
Gedanken schweifen. Er stellte sich vor,

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