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Die Prinzen Von Irland

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Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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geraumer Zeit stand er bereits mit dem Rücken
zu ihr und starrte schweigend zur Küste hinüber.
    Der Plan, den sie
gefasst hatten, war höchst einfach: Sie würden sogleich an die Küste
übersetzen, sich ins Landesinnere zurückziehen und sich in den Wäldern
verstecken. Wenn Finbarr die Insel betrat, würde er nur ihre kleine Hütte
vorfinden. Das alte Weib am Strand würde ihm erzählen, dass sie an diesem Ort
nie jemand anderen als den wandernden Druiden gesehen hatte. Schon bald würde
er die Suche aufgeben und wieder verschwinden. Und dann? Dann würden sie
vielleicht auf die Insel zurückkehren. Oder Deirdre würde sich zu ihrem Vater
begeben.
    Sie erhob sich, trat
zu Conall hinüber, berührte ihn sanft am Arm.
    »Ich bin fertig«,
flüsterte sie. Aber Conall schüttelte den Kopf.
    »Zu spät«, sagte er
und zeigte in die Ferne. Und als sie angestrengt in die Dunkelheit blickte,
erkannte sie den Schatten von Finbarrs Streitwagen, der am Strand wartete; und
noch bevor sie ihre Worte zurückhalten konnte, kamen sie ihr bereits über die
Lippen: »Oh, Conall, ich kann nicht zurück. Lieber würde ich sterben.«
    Sie standen da und
sahen zu, wie es immer heller wurde, die See sich grau verfärbte und der
Streitwagen am Strand scharf umrissene, dunkle Konturen annahm. Dann sagte
Conall: »Jetzt muss ich zu ihm hinüber.« Es gelang ihr, ihn noch einen
Augenblick bei sich zu halten; aber obwohl sie ihn immer noch zurückzuhalten
versuchte, während die Helligkeit am Horizont immer stärker zunahm, riss er
sich schließlich los, stieg in das curragh und setzte allein
über.
    Er hatte den Weg über
das Wasser zur Hälfte zurückgelegt, als sie den feurigen Rand der Sonne über
den Horizont brechen sah und ihr bewusst wurde, dass Conall im Begriff war, das
Meer mit der aufgehenden Sonne im Rücken zu überqueren. Damit würde er das zweite geis übertreten.
    »Conall«, schrie sie
ihm nach, »die Sonne!«
    Aber auch wenn er sie
gehört haben sollte – er wandte sich nicht um.
    *
* *
    Bereits
lange vor der Morgendämmerung hatte er reglos wie ein Stein in seinem
Streitwagen gestanden. Die ganze Zeit hatte er sich gefragt: Würde er noch
einen Rest der einstigen Liebe zu seinem Freund empfinden? War es Schmerz oder
nur Enttäuschung, was er empfand? Er wusste es kaum. Aber er wusste, was er zu
tun hatte, und so hatte er, vielleicht aus Angst vor seinen eigenen Gefühlen,
sein Herz verhärtet. Und doch empfand er nun, als Conall über das Wasser
gefahren kam, etwas ganz anderes: Verwunderung.
    Als Conall den Strand
erreichte und nun auf ihn zutrat, hatte Finbarr ein höchst seltsames Gefühl.
Nach Art eines Druiden geschoren und schlicht wie ein Einsiedler gekleidet,
wirkte Conall auf ihn wie ein Geist. Denn wenn Conall gestorben und nun von den
Inseln der Seligen zurückgekehrt wäre, hätte er sicher genau diesen Eindruck
erweckt. Es war der innere Geist, das innerste Wesen des Mannes, den er geliebt
hatte, ein Wesen, das sich nun näherte wie ein trauriger Schatten. Nur wenige
Schritte entfernt blieb Conall stehen und nickte ruhig.
    »Du weißt, Conall,
warum ich hier bin.« Finbarr stellte fest, dass seine Stimme heiser klang.
    »Was für ein Jammer,
dass du hierher gekommen bist, Finbarr. Ich kann nichts für dich tun.«
    War das alles, was
sein Freund ihm zu sagen hatte?
    »Seit mehr als einem
Jahr bin ich auf der Suche nach dir«, platzte er heraus.
    »Wie lauten die Befehle
des Hochkönigs an dich?«, erkundigte sich Conall gelassen.
    »Euch beide
wohlbehalten zurückzubringen.«
    »Deirdre wird nicht
mitkommen, und ich werde sie nicht allein zurücklassen.«
    »Du und Deirdre – das
ist das Einzige, was dir wichtig ist?«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Es bekümmert dich
nicht, Conall«, er konnte die Verbitterung in seiner Stimme nicht unterdrücken,
»dass es drei Jahre lang Missernten gegeben hat, dass arme Leute nur durch das,
was die Häuptlinge ihnen geben können, vor dem Hungertod bewahrt werden und
dass dir die Schuld an alledem gegeben wird aufgrund der Schmach, die du deinem
Onkel, dem Hochkönig, zugefügt hast?«
    »Wer sagt das?«
Conall wirkte ein wenig erschüttert.
    »Die Druiden sagen
es, Conall, und die filidh und die Barden auch.« Er holte tief Luft. »Und auch ich sage es.«
    Conall hielt
nachdenklich inne, bevor er antwortete, und als er es tat, schien seine Stimme
erfüllt von Traurigkeit zu sein.
    »Ich kann nicht
mitkommen, Finbarr.«
    »Dir bleibt keine
andere Wahl, Conall.« Finbarr

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