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Die Prinzen Von Irland

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Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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alten Mann von morgens bis abends. Sie war fest
entschlossen, sein Dahinscheiden so sanft und würdevoll wie möglich zu
gestalten. Aber sie musste sich eingestehen, dass ihr dabei noch etwas anderes
durch den Kopf ging.
    Wenn sie Fergus
wenigstens noch bis zum Samhain–Fest am Leben halten konnte! Wenn er unbedingt
sterben musste, dann sollte er ruhig sterben, aber erst danach! Falls der
Hochkönig nämlich herausfände, dass Morna sich zu diesem Zeitpunkt in Dubh Linn
befand, würde er es dem jungen Mann kaum übel nehmen können, dass dieser seinem
Häuptling und Großvater an seinem Sterbebett beistehen wollte. Daher musste
Fergus wenigstens noch einen Monat leben! Aber ihre Bitten wurden nicht erhört.
Anfang Oktober starb er, und Deirdres Schmerz wurde durch ihre verzweifelte
Angst noch gesteigert.
    Sie bereiteten ihm
eine prachtvolle Totenfeier. Drei ganze Tage hindurch tranken, aßen und sangen
die Gäste, wie es nur die Freunde der Toten vermögen. Häuptlinge, Bauern,
Viehhirten, Fischer, sie alle hatten sich eingefunden, um ihn in eine bessere
Welt jenseits dieser hinüberzutrinken. »Wirklich eine feine Totenwache,
Deirdre«, lobten sie die Gastgeberin.
    Dann bestatteten sie
ihn, wenn auch vielleicht nicht ganz so, wie er es sich erträumt hatte –
aufrecht stehend und voll bewaffnet, mit festem Blick über die Furt hinweg
seinen unsichtbaren Feinden entgegen –, aber dennoch in allen Ehren unter einem
stattlichen Grabhügel neben den Wassern der Flussmündung. Und zur gleichen Zeit
verkündeten sie, dass Morna der neue Häuptling sei.
    Als die Totenfeier
vorüber war, kehrte in Dubh Linn wieder Ruhe ein. Morna und seine beiden Onkel
brachten das Vieh von der Sommerweide zurück. In den Wäldern mästeten sich die
Schweine an den herabgefallenen Eicheln. Das Wetter war herrlich, aber Deirdre
spürte, dass die Tage kürzer wurden und ein eisiger Hauch in der Luft lag.
    Das Samhain–Fest
rückte näher. Noch lag die Furt über den Fluss öde und verlassen da, aber schon
bald würden von Süden her scharenweise Reisende auf dem Weg nach Tara hier vorbeikommen.
Und nun wurde Deirdre noch etwas bewusst, woran sie bei allem, was ihr durch
den Kopf ging, bisher noch nicht gedacht hatte: Die Reisenden würden von Morna,
der nun Häuptling war, erwarten, dass er ihnen gastliche Aufnahme gewährte und
für ihre Unterhaltung sorgte. Über einen so ansehnlichen jungen Häuptling würde
man gewiss reden. Und irgendjemand würde bei seiner Ankunft in Tara eine
Bemerkung über den Nachfolger des alten Fergus an der Hürdenfurt fallen lassen.
Auch der Hochkönig würde erfahren, dass Morna im Rath wäre. Der Fall war
hoffnungslos. Wenn Deirdre nicht noch ein rettender Gedanke kam, würde ihre
Lüge aufgedeckt werden.
    Was konnte sie noch
tun? Sie hatte nicht die geringste Idee. Morna fortschicken? Aber unter welchem
Vorwand? Der gesunde Menschenverstand sagte ihr, dass es nur einen Ausweg gab:
Sie musste ihrem Sohn von der Aufforderung des Hochkönigs erzählen und ihn
selbst eine Entscheidung treffen lassen. Aber die Gerüche, das Gefühl der
frostigen Herbstluft auf der Haut, alles schien sich dazu zu verschwören, ihre
Gedanken wieder auf jene Zeit zu lenken, als sie so widerwillig mit Conall zu
jener entsetzlichen Reise nach Tara aufgebrochen war. Sie fühlte sich unendlich
einsam. Sie wünschte, Fergus wäre da, um ihr beizustehen mit seinem Rat, aber
sie hatte den Verdacht, dass sie wusste, wie dieser Rat lauten würde – Morna
alles zu sagen.
    Warum tat sie es also
nicht? Sie brachte es nicht fertig. Aber das war keine Antwort. Sie wusste,
warum sie es nicht tat. Mit jedem Tag, den das Samhain–Fest näher rückte, wurde
ihre Lage schlimmer. Sie begann sich jede Nacht zu versprechen, dass sie es
ihrem Sohn am nächsten Tag sagen würde. Aber am Morgen beschloss sie dann
immer, noch bis zum Abend zu warten für den Fall, dass im Laufe des Tages noch
etwas – sie wusste nicht, was, aber irgendetwas – geschehen würde, das die Lage
änderte.
    Einer der britischen
Sklaven hatte als Erster die Fremden kommen sehen. Als Deirdre den Eingang zum
Rath erreichte, hatte die Reitergruppe bereits zur Hälfte die Hürdenfurt
überquert. Sie waren zu viert, und ein Mann, der dicht hinter dem Anführer
ritt, schien eine Art Speer oder Dreizack zu tragen, so dass es so aussah, als
hätte der Anführer eine Art Geweih. Neugierig beobachtete die Tochter des Fergus,
wie die Gruppe näher kam. Und dann erkannte sie mit einem

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