Die Probe (German Edition)
Aber das Angebot nehme ich gerne an.« Sie war dankbar, nicht mehr umsteigen zu müssen, denn Renates Wohnung befand sich nur zwei Stationen weiter südlich.
Zehn Minuten später betraten sie ein sauber herausgeputztes Häuschen in einer ruhigen Seitengasse. Überrascht blieb Daisy stehen, als Renate sie ins Wohnzimmer führte. Statt in einem der typischen, engen Hühnerställe, in denen westliche Bewohner unter Atemnot leiden, befand sie sich in einem fast leeren, luftigen Raum, der ganz mit erdfarbenen Tatamimatten ausgelegt war. Der halb geöffnete Shoji, die traditionelle Trennwand aus durchscheinendem Papier im Bambusgitter, gab den Blick frei auf ein kleines Gärtchen hinter den hohen Fenstern. In diesem Raum konnte man seine Seele baumeln lassen.
»Was ist? Kommst du?«, rief ihre Gastgeberin aus dem Badezimmer. Die Wanne ist leider etwas kurz geraten, aber ich kann dir die Jacuzzi-Dusche mit Fußmassage empfehlen.«
»Hinreißend, dein Apartment.«
»Danke. Fühl dich ganz wie zu Hause. Ich mach uns inzwischen einen Tee. Eignet sich besser zum Ausnüchtern als Kirin.« Der heiße Wasserstrahl fegte die Müdigkeit aus ihren Gliedern, und als sie aus der Dusche stieg, fühlte sie sich nicht mehr als schmutzigen Fremdkörper in dieser fast jungfräulichen Wohnung. Auf ihren Kleidern lagen ein paar Socken und ein seidener Kimono, hellblau und passend zur Jahreszeit mit weißen und rosa Blüten verziert. Die blonde Fee entpuppte sich auch noch als perfekte Gastgeberin.
»Besser?«, fragte Renate, ganz in rote Seide gehüllt.
»Oh ja, wie neu geboren. Wie sehe ich aus?«
»Schrecklich«, lachte sie. Ohne weitere Erklärung trat sie auf die konsternierte Daisy zu, öffnete den Kimono, schlang ihn wieder um den nackten Körper ihres Gastes und trat mit prüfendem Blick zurück. »Jetzt siehst du süß aus.« Daisy lächelte unsicher. Sie verstand nichts mehr, aber Renate erklärte es ihr: »Man schlägt immer die linke über die rechte Seite. Umgekehrt macht man’s nur bei Verstorbenen.«
»Soweit ist es glücklicherweise noch nicht.« Sie trank einen Schluck Tee und schaute sich genauer um in der Wohnung, während Renate sich frisch machte. Auch das kleine Schlafzimmer, dessen Schiebetür einen Spalt offen stand, die Kochnische, gar der Korridor strahlten die gleiche wohltuende Ruhe aus wie das Wohnzimmer. Ihr schien, als stünde jedes Möbelstück, als läge jeder Gegenstand genau an seinem vorbestimmten Platz, als müsste jede andere Ordnung die Harmonie unweigerlich zerstören. Ich darf sie nie in meine Wohnung lassen , schoss ihr durch den Kopf. Sie lebte zu Hause in einem kreativen Chaos, wenn sie denn einmal in ihrem Londoner Apartment war. Ein Chaos, das andere Menschen stets nur als profane Unordnung wahrnahmen. Das pure Gegenteil dieser Oase jedenfalls, und dennoch fühlte sie sich wohl hier.
»Du kannst natürlich hier schlafen, wenn du möchtest«, sagte Renate und eilte an ihr vorbei ins Schlafzimmer. »Ich mache dir den Futon bereit.«
»Ich kann doch auf den Kissen im Wohnzimmer ...«
»Kommt nicht in Frage. Du bist mein Gast, basta.«
»Lass mich dir wenigstens helfen.« Zu spät, Renate hatte die Decke bereits über das Bett gebreitet und einladend aufgeschlagen.
»Alles bereit, wie du siehst.« Sichtlich nervös wollte sie wieder an ihr vorbei ins Wohnzimmer huschen und stieß dabei so ungeschickt an den Türrahmen, dass sie sich krümmte und leise stöhnte. Unwillkürlich hielt Daisy sie fest.
»Du meine Güte, ist es schlimm?« Renate rieb sich die Stelle, an der es schmerzte und schüttelte unwirsch den Kopf. Der Vorfall schien ihr peinlich zu sein. Sanft führte sie Renate zum Bett, wo sie sich setzte. »Zeig mal her!« Sie ließ sie wortlos gewähren, als sie ihr den Kimono lockerte und über die rechte Schulter streifte. Vorsichtig betastete sie die Druckstelle. »Du solltest etwas Eis auflegen, sonst gibt’s blaue Flecken.«
»Ach, nicht nötig. Dort sieht’s ja niemand«, murmelte sie und blickte verlegen zu Boden. Daisy zupfte den seidenen Stoff sachte wieder zurecht. Die Nähe dieser begehrenswerten Frau, der betörende Geruch zart parfümierter Seife, den ihr warmer Körper verströmte, verunsicherte sie selbst in höchstem Maße. Ihre Hand rutschte aus, berührte die nackte Brust, die harte Knospe. Verwirrt zuckte sie zurück und stammelte heiser: »Entschuldige – tut mir leid – entschuldige.« Renate jedoch blickte lächelnd zu ihr auf und raunte:
»Könntest du
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