Die Probe (German Edition)
Zunge, und so nett verpackt – gefällt mir.« Sie stiegen die geschwungene Treppe hinauf und betraten wenig später einen Raum, dessen breite Fensterfront einen atemberaubenden Blick auf den See und das schneebedeckte Berninamassiv freigab. »Mein Arbeitszimmer. Hier können wir uns ungestört unterhalten.« Sie setzten sich auf die Lederpolster. »Nun, Miss Bassi, wie sieht Ihr Angebot aus?« Auf seinem Gesicht erschien wieder der kühle Ausdruck des hartgesottenen Geschäftsmannes. Sein durchdringender Blick richtete sich starr auf ihre Lippen, als wollte er ihr die Worte in den Mund legen. Ruhig und sachlich schilderte sie ihm die Aktion, mit der sie und ihre Bank seine Eintrittsprüfung bestehen wollten, ohne auf die Details von Michaels Plan einzugehen. Er zuckte mit keiner Wimper, als sie die fünfzig Millionen erwähnte.
»Monsieur Vidal, es ist Ihnen klar, dass wir Ihre Auflagen nur mit einer Hochrisiko-Transaktion erfüllen können?« Er nickte, ohne den stechenden Blick abzuwenden. »Wir schätzen das Ausfallrisiko mit zwanzig Prozent ein. Es ist Ihre Entscheidung.«
»Fünfzehn Prozent in einem Monat«, murmelte er nachdenklich. Plötzlich sprang er auf und ging zu seinem Schreibtisch. Er arbeitete kurze Zeit wortlos und konzentriert am Computer, dann entspannte er sich und sagte nüchtern: »Das Geld ist bereit. Sobald ich Ihr Fax mit den Vertragsbedingungen in den Händen habe, starte ich die Überweisung.« Sie unterdrückte einen Jubelschrei. Ihr Herz pochte, dass sie fürchtete, er könnte es hören. Ohne weiteres hatte er fünfzig Millionen Dollar locker gemacht, noch bevor sein Konto bei Escher, von Moos und Partner überhaupt ordnungsgemäß eröffnet war. Louis Vidal, Master of the Universe.
»Sie werden das Papier morgen früh auf dem Tisch haben«, versicherte sie ohne zu zögern.
»Darauf stoßen wir an! Cognac? Ich kann hier leider nicht mit eisgekühltem Champagner dienen.«
Als sie wieder die Treppe hinunter stiegen und sich unter die Gäste mischten, weidete sie sich an den tödlichen Blicken seines Harems. Die Damen hätten wohl zu gerne gewusst, was sie mit dem begehrten Junggesellen getrieben hatte. Ihr Auftrag war erledigt, doch sie bestieg die Limousine für die Rückfahrt nach Zürich erst nach einer weiteren Stunde gepflegter Konversation.
Vidal schaute dem Wagen nach, bis er das Tor passiert hatte. Diese prächtige Raubkatze beeindruckte ihn stärker, als er sich eingestehen wollte. Zum ersten Mal fühlte er sich zu einer Frau wirklich hingezogen. Er musste vorsichtig sein.
Das Telefon piepste. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich zusehends, während er zuhörte.
»Ich dachte, das Problem hätte sich erledigt?«
»Ja, aber nun ist ein weiterer Schnüffler aufgetaucht. Wir müssen davon ausgehen, dass er die Behörden informiert«, antwortete der Anrufer kleinlaut.
»Und was wollen Sie von mir?«
»Wir müssen mehr Geld einsetzen, Schmiergeld. Viel Geld.«
»Dafür gibt es Budgetposten«, schnauzte Vidal verärgert.
»Wir – es gibt leider ...«
»Es interessiert mich nicht im Geringsten, wo sie den Bakschisch hernehmen, Senhor. Jedenfalls gibt es kein Geld aus unserer Kasse.«
»Aber Senhor Vidal, das Werk wird geschlossen!«
»Ihr Problem.« Er klappte das Handy zu und ging zurück zu seinen Gästen.
Manaus, Amazonas
Durch das Milchglas der Tür drang Musik, eine italienische Oper, Puccini oder Verdi. Charlie konnte die beiden nie unterscheiden. Der fette, schwarze Schriftzug auf dem Glas vor seiner Nase wollte nicht zum leidenschaftlichen, aufwühlenden Klagelied des Tenors passen, oder vielleicht doch: Patologia. Zögernd stieß er die Tür auf. Ein älterer Herr mit grauem Spitzbart, Gummihandschuhe an den Händen, stand vornübergebeugt an einem Metalltisch. Er schob das grüne Tuch über der Leiche etwas nach oben, bis er die Beine untersuchen konnte. Ohne seine Arbeit zu unterbrechen, deutete er ungeduldig in die Ecke, wo das Radio plärrte. Folgsam ging Charlie zum Apparat und schaltete ihn aus.
»Dr. Oliveira, der Pathologe?«, fragte er und schritt zögernd auf den Mann im weißen Kittel zu.
»Sie sind wohl einer der ganz Schlauen. Was haben Sie hier zu suchen?«
»Ich bin Charlie Conway von der UNEP. Wir haben telefoniert.«
»Ach ja, ich erinnere mich.« Er winkte ihn heran. »Kommen Sie ruhig näher, Tote beißen nicht.« Er drückte die weißen Beine auf dem Tisch etwas auseinander und zeigte auf die Innenseite der Oberschenkel. »Sehen Sie
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