Die Probe (German Edition)
passieren.
Mit lediglich acht Millionen Dollar von Vidals Einsatz hatte er eine massive Position von Put-Optionen aufgebaut, die ihn berechtigte, zehn Millionen Saitou Energy Aktien zu 900 Yen zu verkaufen, sobald der Kurs unter diese Marke fiel. Er besaß keine Saitou Aktien. Die brauchte er auch nicht, um seinen Verpflichtungen nachzukommen, denn falls er die Optionen zum Beispiel bei 800 ausübte, konnte er die Aktien für 800 Yen kaufen und sie gleich wieder für 900 verkaufen. Aber auch diesen unnötigen Umweg würde er sich ersparen und sich einfach den Gewinn von 100 Yen oder etwa einem Dollar je Aktie auszahlen lassen. Bei Börsenschluss am Vortag stand Saitou bei 965.
In letzter Zeit beobachtete er fast ausschließlich die Bewegungen des Saitou Kurses. Er hatte den Newsfilter so eingestellt, dass alle Meldungen, die diesen Konzern betrafen, zuerst und mit höchster Priorität auf seinem Bildschirm erschienen. Und vor drei Minuten war die ersehnte Nachricht endlich aufgetaucht. Die wichtige Goldmine im Amazonasbecken musste geschlossen werden. Die Weltzeituhr an der Wand zeigte 08:52 Uhr für Tokio. Noch acht Minuten bis zur Eröffnung des Handels. Er rieb sich die roten Augen, eilte zur kleinen Kochnische nebenan, goss sich einen weiteren Becher sauren Kaffees ein und spurtete blitzschnell an seinen Platz zurück. Noch eine Minute – vierzig Sekunden – dreißig Sekunden. Je näher der Zeitpunkt rückte, desto ruhiger wurde er, denn er war ein professioneller Händler, der solche Situationen gewohnt war. Im alles entscheidenden Augenblick konzentrierte sich sein Geist nur noch auf die eine Aufgabe: rechtzeitig zuzuschlagen. Die Kurse in den Tabellen der Tokioter Börse begannen sich zu bewegen. Ebenso der in großen Ziffern dargestellte Wert der Saitou Aktie in seiner Tabellenkalkulation. In den ersten paar Sekunden zog die Aktie leicht an auf 970, aber dann begann der Kurs zu fallen. 950 – 925 – 903 – 890.
Der Ausübungspreis war erreicht, man handelte Saitou deutlich unter 900. Aber er wartete zu. Der Kurs musste unter 822 fallen, damit er wirklich Gewinn machte, denn die Option hatte ihn etwa 78 Yen pro Aktie gekostet. Der Fall von Saitou ging ungebremst weiter. 865 – 850 – 830 – 815 – 800. Das Bild gefiel ihm: Erntezeit. Nach weiteren dreißig Minuten begann sich der Kurs zu beruhigen. Er war inzwischen auf 720 gesunken. Sollte er aussteigen? Das Fenster mit der Tabellenkalkulation zeigte schon einen beachtlichen Gewinn auf seiner Position. Aber die Grafik der Kursentwicklung deutete darauf hin, dass die Talsohle noch nicht erreicht war. 715 – 712 – 710. Langsam näherte sich Saitou der magischen Marke von 700. Sein Finger war bereit. Im Augenblick, wo die Zahl 700 aufleuchtete, schlug er zu und übte die Optionen elektronisch über seine Broker aus. Praktisch in der gleichen Sekunde war der Deal perfekt. Die Zahlen in seinem elektronischen Arbeitsblatt änderten sich nicht mehr. Stöhnend lehnte er sich zurück und streckte sich. In der Mitte des Bildschirms vor ihm leuchtete die unglaubliche Schlussabrechnung: 200 Yen Gewinn pro Aktie, mal 10 Millionen, total zwei Milliarden Yen. Das entsprach 20.47 Millionen Dollar. Zog man davon den Kaufpreis von acht Millionen Dollar ab, ergab sich ein netto Reingewinn von 12.47 Millionen Dollar, oder 24.94% von fünfzig Millionen. Fünfzehn Prozent davon gehörten Vidal. Für ihn blieben also 9.94% oder 4.97 Millionen Dollar. Die gewagte Transaktion hatte ihn und seine Partnerin in wenigen Tagen um fast fünf Millionen Dollar reicher gemacht. So gefiel ihm das Leben.
»Du siehst entspannt aus.« Er erschrak. Francesca lehnte am Türrahmen und spielte mit ihrer goldenen Halskette.
»Verd ... Musst du mich so erschrecken?«
»Ich dachte, ein wenig Ablenkung könnte nicht schaden.« Sie tauchte hin und wieder zu den unmöglichsten Zeiten bei ihm auf, als wollte sie ihre Unberechenbarkeit demonstrieren.
»Du kommst zu spät«, sagte er müde und zeigte mit undurchdringlicher Miene auf den Bildschirm.
»Was zum Teufel ...« In wenigen Sätzen stürzte sie an den Desk. »Saitou zieht an, Mist«, rief sie aus, nachdem sie die verwirrenden Anzeigen auf dem großen Schirm eine Weile aufmerksam verfolgt hatte. Er beugte sich vor und sagte gleichgültig:
»Oh, tatsächlich, habe ich gar nicht bemerkt.«
»Das ist schlecht, ganz übel«, murmelte sie bedrückt.
»Nicht für uns, mein Schatz.« Mit breitem Grinsen legte er den Zeigefinger auf das
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