Die Probe (German Edition)
das Schicksal sie vertreiben.
»Macht keinen Spaß mehr, wie?«, lächelte sie betrübt. Renate nickte stumm. Sie saßen sich eine Weile schweigend gegenüber, bis sich ihre Mitarbeiterin räusperte und vorsichtig andeutete, dass sie sich durchaus Alternativen zu Saitou vorstellen könnte.
»Ich muss die Doktorarbeit nicht zwingend hier beenden.«
»Sicher, aber ich würde es sehr bedauern, wenn ich dich nicht weiter begleiten könnte. Deine Nanobatons sind ein faszinierendes Thema, und ich glaube, du bist einer sehr nützlichen Sache auf der Spur.«
»Verstehe mich bitte nicht falsch, ich will auf keinen Fall einen anderen Tutor«, beeilte sich Renate zu versichern. »Ich bin froh um deine Unterstützung. Ich meinte nur, falls du hier weg willst, bin ich dabei.«
»Ich habe noch nicht unterschrieben für das Wintersemester«, murmelte Lauren gedankenverloren. Ihr Schützling hatte nur ausgesprochen, was ihr auch schon durch den Kopf gegangen war. Wenn sie schon erneut um Ressourcen kämpfen musste für ihre Arbeit, dann wohl besser in einer Firma oder einem Institut, die möglichst weit vom Sumpf der japanischen Mafia entfernt waren. Renate lächelte.
»Meine Beziehungen zur LMU München sind immer noch sehr eng«, sagte sie. Lauren kannte den Dekan der Fakultät für Chemie und Pharmazie der Ludwig-Maximilians-Universität, der ihr damals Renate empfohlen hatte.
»Das nehme ich an. Was willst du damit andeuten?«
»Sie sind daran, die Materialwissenschaften auszubauen.«
München, warum nicht? , dachte sie, und es war ihr wohl am Gesicht abzulesen, denn Renate schmunzelte.
»Was, nun sag schon!«
»Sie suchen einen Dozenten für Chemische Technologie der Materialsynthese, habe ich gehört.« Kopfschüttelnd schaute sie Renate an. Ihre Mitarbeiterin hatte sich offenbar schon ziemlich genau informiert und wartete gespannt auf ihre Antwort.
»Nun ja ...«, begann sie zögernd. »Zurück nach Europa hätte schon seinen Reiz.«
»Aber?«
»Ich will unbedingt unsere Solarzellenentwicklung vorantreiben. Wir sind zu nahe am Ziel, um jetzt aus irgendeinem Grund aufzugeben.« Renate nickte nur. »Schaden kann es allerdings nicht, wenn du bei deinen Kontakten einmal ein wenig auf den Busch klopfst«, fügte sie nach kurzem Überlegen hinzu.
»Du kannst deine nächste Europareise schon im Kalender eintragen, denke ich«, lachte Renate. Ihr war anzusehen, dass sie lieber heute als morgen nach Deutschland zurückkehren würde.
Kurz nachdem ihre Mitarbeiterin das Büro verlassen hatte, öffnete auch Lauren die Tür, spähte vorsichtig in den Korridor und eilte ungesehen ans andere Ende des Ganges in ihr Labor. Sie konnte jetzt keine neugierigen Zeugen brauchen, am allerwenigsten den aufdringlichen Kichi. Sie schloss die Tür ab, nahm den Zettel aus der Tasche des Labormantels, auf den sie die entscheidenden Angaben zum Experiment notiert hatte, und begann mit den Vorbereitungen. Sie wollte nochmals in Ruhe und unter kontrollierten Bedingungen eine Probe des seltsamen Materials erstellen, dessen Eigenschaften sie vor einigen Wochen so verstört hatten. Zweieinhalb Stunden lang harrte sie im kleinen Raum aus, plante und verfolgte jeden Schritt akribisch genau und wartete schließlich, bis sie das Wachstum der Kristalle stoppen musste. Telefonanrufe und SMS Meldungen beachtete sie nicht. Als jemand klopfte, hielt sie lediglich kurz inne, um nicht gehört zu werden.
Die Angaben auf ihrem Zettel stimmten. Nach der aufwendigen Prozedur hatte sie wieder ein paar zur künstlichen Haarlocke aufgerollte Fäden des Materials in der Hand. Sorgfältig kalibrierte sie die Analysegeräte, bevor sie die physikalischen Eigenschaften der Probe maß. Ein kurzer Blick auf die ausgedruckten Protokolle genügte, um ihr zu bestätigen, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Ohne Zweifel waren die paar Fäden gleich beschaffen wie die erste Probe, die der Zufall erzeugt hatte. Es lag wohl noch viel Arbeit vor ihr, bis sie befriedigend erklären könnte, wie diese Effekte zustande kamen, aber das Herstellungsverfahren war nun zumindest verifiziert. Wieder ergriff sie ein Hochgefühl, als hätte sie die wichtigste Entdeckung ihres Lebens gemacht, und wenn sie nüchtern überlegte, war es auch genauso.
Es klopfte. Renate rief ihren Namen. Sie konnte sich nicht länger hier verkriechen, schließlich hatte sie gesehen, was sie wollte.
»Renate? Ich komme gleich.« Sie faltete eilig die Messprotokolle zusammen und legte die Probe dazwischen.
Weitere Kostenlose Bücher