Die Probe (German Edition)
tatsächlich höchste Vorsicht geboten. Zuviel Geld stand auf dem Spiel, als dass man irgendetwas dem Zufall überlassen durfte.
»Ist er bereits vor Ort?«
»Sie«, antwortete Nakamura und machte eine verächtliche Handbewegung. »Diesmal ist es eine Frau, die sie geschickt haben.«
»Wir müssen uns darum kümmern.«
»Ich vertraue Ihnen, Monsieur Vidal«, antwortete Nakamura mit dem Anflug eines Lächelns und erhob sich. Vidal stand ebenfalls auf, verbeugte sich und entfernte sich wortlos.
München
Die Sonne schien, aber es roch nach Regen, als Lauren die U-Bahnstation Universität am Rande von Münchens Innenstadt verließ und auf den Gehsteig der Ludwigstrasse hinaustrat. Sie folgte der stark befahrenen Prachtstrasse einige Schritte bis zum Römischen Brunnen, der den Haupteingang der Ludwig-Maximilians-Universität kennzeichnete. Studierende saßen auf dem Brunnenrand und auf der Treppe, lasen, diskutierten oder ließen sich einfach von den Sonnenstrahlen erwärmen bevor der Regen einsetzte. Das Bild weckte Erinnerungen an die unbeschwerte Studienzeit, als sie mit ihren Kollegen an der Cardiff Bay frische Seeluft tankte, so oft sie nur konnte. Die Glocken der nahen Ludwigskirche schlugen neun Uhr, als sie den Lichthof betrat, wie schon am Tag zuvor. Sie hatte eine lange Reihe von Interviews hinter sich mit den Honorablen der Universität, mehreren Dekanen, dem Kanzler, wie sie hier den Leiter der Administration nannten und sogar mit einer Frauenbeauftragten. Bei ihren Qualifikationen und Publikationen war sie allerdings eher Interviewerin als Interviewte, umso anstrengender hatte sie den Marathon empfunden. Was in aller Welt fragt man eine Frauenbeauftragte? Das gegenseitige Abtasten hinterließ bei ihr einen gemischten Eindruck. Die LMU war ein Universitätsbetrieb wie andere auch, nicht überaus elitär, nicht nur industrielle Massenabfertigung, vielleicht ein wenig bürokratischer als andere Institute, die sie kannte. Das Wichtigste aber schien ihr doch, dass sie sich gut verstand mit dem Dekan der CuP, der Fakultät für Chemie und Pharmazie. Die Chemie stimmte buchstäblich, sie konnte sich durchaus vorstellen, hier zu arbeiten.
Klaus Schmidt, der Dekan, begrüßte sie mit dem gleichen unermüdlichen Enthusiasmus, der ihr schon gestern aufgefallen war.
»Nun, Dr. Griffith, was ist ihr erster Eindruck?«
»Der erste Tag war zwar sehr anstrengend, aber ich habe große Lust, mehr zu erfahren.«
»Sehr gut, ausgezeichnet. Ich bin sicher, die Leute und Einrichtungen der CuP werden Ihnen gefallen. Wenn es Ihnen recht ist, können wir gleich losfahren. Ich dachte, wir nehmen die U6, die fährt direkt vor die Tür des Campus in Großhadern.« Auf der Fahrt mit der U-Bahn erklärte ihr Schmidt seine Organisation in allen Einzelheiten und begann, die aktuellen Projekte zu erläutern.
»Sie müssten vorerst nur ein Nachdiplomprogramm zum Thema Materialsynthese leiten. Es werden etwa zwanzig Teilnehmer von der LMU und der Uni Würzburg erwartet, allesamt Doktoranden. Die Hauptaufgabe wäre Ihre Forschungsarbeit über Nanokristalle, wie sie vorgeschlagen haben. Das Thema eignet sich ausgezeichnet als Material für die Lehrtätigkeit.«
»Das glaube ich auch. Wie ich schon erwähnt habe, erwarte ich in Kürze einen entscheidenden Durchbruch. Deshalb scheint es mir wichtig, die Entwicklungen mit Hochdruck voranzutreiben.«
»Mit meiner vollen Unterstützung können Sie jedenfalls rechnen. Das betrifft selbstverständlich auch Frau Dietrich, die wir hier in guter Erinnerung haben, wie Sie wissen.« Lauren hatte einen allfälligen Umzug nach München davon abhängig gemacht, dass sie Renate weiterhin als Assistentin beschäftigen könnte. Sie waren ein gut eingespieltes Team, und es war wichtig, in der neuen Umgebung eine zuverlässige Vertraute zu haben, die sich hier bereits auskannte.
Der Campus lag nur ein paar hundert Meter westlich der U-Bahnstation Großhadern. Sechs moderne Geschäftshäuser in nüchterner, eleganter Architektur mit dominanten Glasflächen bildeten Professor Schmidts Reich, das den stolzen Namen ›High Tech Campus Chemie und Pharmazie‹ trug. Sie betraten das erste Gebäude, Haus E, die vertraute Welt der physikalischen Chemie. Schmidt führte sie ins oberste Stockwerk, wo sich die wichtigsten seiner Mitarbeiter zur Begrüßung und Präsentation versammelt hatten. Das erste, was ihr auffiel, war die aufregende Aussicht. Unmittelbar hinter den hellen Häusern des benachbarten
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