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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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sie höchst zufrieden.
    Das laute Geschwätz und Gelächter um sie herum erstarb und die Leute erhoben sich. Die offene Kutsche mit ihrer Majestät, Queen Elisabeth und Prinz Philip, dem Herzog von Edinburgh, traf auf dem Platz ein. Unter dem Applaus der Zuschauer fuhr das Königspaar an den dichtbesetzten Rängen vorbei zu seiner Loge, wie an jedem Tag des Rennens, bei dem die Jockeys mit ihren Rassepferden nur eine untergeordnete Rolle spielten.
    »Letzte Gelegenheit, auf ›Favorit‹ zu setzen, Milady«, flüsterte ihr Vidal ins Ohr. Das Pferd mit dem vielversprechenden Namen stammte aus seinen Stallungen in Halliford Castle, und er schien keine Zweifel zu hegen, dass es das nächste Rennen gewinnen würde.
    »Wenn Milord meinen – setzen Sie bitte hundert auf Sieg für mich.«, antwortete sie und rümpfte spöttisch die Nase. Vidal winkte den Butler heran, der für diesen Bereich zuständig war, und erteilte ihm den Auftrag für das Wettbüro. Die Herrschaften auf diesen Rängen mischten sich keinesfalls selbst unter das Fußvolk.
    Das Handy vibrierte in ihrer Tasche. Sie wollte es sofort ausschalten, doch als sie auf das Display blickte, drückte sie die Empfangstaste und zischte ungehalten ins Mikrofon:
    »Moment!« Sie entschuldigte sich bei Vidal, erhob sich und zog sich in den Korridor hinter der Loge zurück. »Michael?«
    »Es ist wichtig. Bist du allein?«, sagte Michaels Stimme. Sie klang gehetzt.
    »Ja, was ist los?«
    »Ich werde verreisen, und du solltest auch die Koffer packen.«
    »Hast du getrunken?«, fragte sie ärgerlich. Sie verspürte keine Lust auf solche Scherze und wollte zurück ins Rampenlicht.
    »Nein, ich meine es ernst. Hör zu!« Je länger er sprach, desto unwirklicher erschien ihr seine Geschichte. Und doch gab es keinen Zweifel, dass dies alles andere als ein Jux war. Er hatte Vidals Millionen verspielt und wollte mit ihr abhauen. Die Vorstellung war so ungeheuerlich, dass sich alles um sie herum zu drehen begann. Ihr Atem stockte, und es wurde schwarz vor ihren Augen. Einen Augenblick lang fürchtete sie, das Bewusstsein zu verlieren. Jetzt, da sie die Feuerprobe bestanden hatte und im Begriff war, in die exklusivste aller Gesellschaftsschichten aufzusteigen, sollte sie alles stehen und liegen lassen, sich mit einem Loser wie Michael irgendwo auf einer einsamen Insel verkriechen?
    »Du bist wahnsinnig«, hauchte sie mit bebender Stimme.
    »Es ist unsere einzige Chance. Ich habe alles organisiert. Wir können ein völlig neues Leben beginnen. Ich habe genügend Geld beiseite geschafft, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Morgen fliege ich. Was ist – treffen wir uns am Samstag in Singapur, wie ich gesagt habe?« Nur dumpf hörte sie die Frage, als hätte sie Watte im Ohr. »Francesca, hast du mich gehört?«
    »Gehört – ja.« Mehr konnte sie nicht sagen.
    »Samstag, Singapur, Transit Hotel im Terminal 1. Ich bin in der Lobby, hast du verstanden?«
    »Samstag«, wiederholte sie mechanisch und unterbrach die Verbindung. Benommen wankte sie den Flur auf und ab, versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie rang nicht um die Entscheidung, was zu tun war. Für sie stand von Anfang an fest, dass sie Michael nicht folgen würde. Nein, ihr Platz war hier, das war ihre Welt. Blieb nur die bange Frage, wie sie Vidal die verheerende Nachricht überbringen sollte, ohne selbst auf der Strecke zu bleiben. Einfach schweigen und abwarten war keine Option, soviel war ihr sofort klar.
    Über die Lautsprecher hörte sie, dass Favorit gewonnen hatte. Sie hatte gewonnen. Die Gelegenheit war gut. Sie atmete tief durch und öffnete die Tür zur Loge.
    »Gewonnen, gratuliere!«, empfing er sie mit breitem Grinsen. Der Hauch eines Lächelns huschte über ihr Gesicht, dann sagte sie mit ernstem Blick:
    »Louis, wir müssen reden.« Sie zogen sich in einen ruhigen Nebenraum zurück, wo sie ihm die haarsträubende Geschichte so verkaufte, dass er annehmen musste, die wachsamen Analysten ihrer Bank hätten einen möglichen Skandal um Michaels Sonderfonds aufgedeckt. Er hörte mit steinerner Miene zu, unterbrach sie nicht ein einziges Mal. Auch als sie geendet hatte, sagte er eine Weile nichts. Die Stille wurde unerträglich. Sie glaubte, ihr Herz klopfen zu hören und platzte schließlich aufgeregt heraus: »Wir müssen unbedingt die Polizei einschalten, bevor es zu spät ist!« Seine Starre löste sich. Mit abwesendem Blick schaute er durch sie hindurch und schüttelte bedächtig den

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