Die Probe (German Edition)
Lichter in den Zimmern über ihm aufflammten. Er duckte sich reflexartig hinter einen Busch, gerade rechtzeitig, bevor Mosers mächtige Silhouette in einem der Fenster erschien. Die Pistole mit dem überlangen Lauf war deutlich zu sehen in seiner Hand. Schwer atmend und klopfenden Herzens harrte er reglos hinter dem Gebüsch aus. Er war immer noch mehrere Meter vom rettenden Tor entfernt. Wenn Moser jetzt den Schalter für die Außenbeleuchtung fand, war er verloren. In dem Moment, als der Schatten vom Fenster verschwand, rannte er in großen Sprüngen zum Durchgang. Zu seinem Glück war das schmiedeeiserne Tor von innen ohne Schlüssel zu öffnen. Er riss es auf, zwängte sich hindurch und schaffte es nur mit Mühe, das schwere Gitter wieder zu schließen und sich hinter der Mauer zu retten, bevor der Garten in hellem Licht erstrahlte. Er hatte nur einen winzigen Vorsprung, aber den nutzte er geschickt, ebenso wie seinen Heimvorteil, denn er kannte die Umgebung der Villa wie seine Westentasche. Ohne ein einziges Mal zurückzublicken, hetzte er auf kleinen Umwegen zum nahen Römerhof hinunter, wo er keuchend in ein Taxi stieg. Erst als der Wagen die Quaibrücke überquert hatte und auf der anderen Seeseite aus der Stadt hinausfuhr, wagte er, aufzuatmen und sich etwas entspannter zurückzulehnen.
Als Michaels Anwalt eine Stunde später vor der Villa stand, war alles dunkel und verlassen. Verwunderlich fand er einzig das offene Tor bei der Einfahrt. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass niemand anwesend war, setzte er sich kopfschüttelnd in den Wagen und fuhr nach Hause. Sein Stammkunde würde ihn schon früh genug anrufen, wenn er ihn brauchte. Was er nicht gesehen hatte, war das blutbefleckte Handtuch, vom falschen Kommissar Moser achtlos ins Gebüsch geworfen, als er den verletzten Kollegen fluchend ins Auto schleifte und kurz darauf mit heulendem Motor davonbrauste.
Nordsee, Am Morgen des gleichen Tages
Vier Meter hoch peitschten die Wellen an die stählernen Streben der Bohrinsel ›Troll F‹, 120 Kilometer westlich von Stavanger. Ein eisiger Nordwind der Stärke 7 oder 8 wirbelte salzige Gischt auf die Plattform und hüllte die Männer an den Pumpen und am Bohrturm in klebrigen Sprühregen. Nichts Ungewöhnliches in der rauen Nordsee am Rande des Norwegischen Kontinentalschelfs. Hier wurden die Arbeiten auch bei zehn Meter hohen Wellen nicht unterbrochen. Eine sprudelnde Ölquelle, 1000 Meter unter der Meeresoberfläche, schaltete man nicht auf Knopfdruck ein und aus.
Thorsen stand breitbeinig neben dem Mud Ingenieur, der laufend die Zusammensetzung und den Fluss des Mud, der Kühlflüssigkeit, kontrollierte. Das war im Wesentlichen seine ganze Aufgabe, und gerade deshalb war er einer der wichtigsten Männer auf der Plattform. Mit dem ausgeklügelten Gemisch aus Wasser, Öl, Schwerspat und anderen Chemikalien schützte man nicht nur den Meißel und das Bohrgestänge vor Überhitzung, sondern die Pumpenmänner sorgten damit für eine konstante, ausgeglichene Spülung des Öl- und Gasgemischs aus dem Bohrloch. Solange der Schlick gleichmäßig durch die Mud Pits floss, war alles in Ordnung. Der Druck der Kühlflüssigkeit und der Gegendruck der Ölquelle hielten sich die Waage, das kostbare Erdöl sprudelte mit der berechneten Geschwindigkeit in die Aufbereitungstanks.
Die Anzeigen am Kontrollpult bestätigten diesen Normalzustand, seit Thorsen dem Ingenieur über die Schulter schaute. Bis jetzt. Ohne Vorwarnung schnellte der Druck in der aufsteigenden Spülung in den roten Bereich, und der Fluss verdoppelte seine Geschwindigkeit in wenigen Sekunden.
»Kick!«, rief der Ingenieur und rannte zu den Pumpen. In knappen Worten, die er hinausschreien musste, um den pfeifenden Wind zu übertönen, gab er die Anweisungen für die Änderung des Gemischs und die Erhöhung des Pumpendrucks, um den Fluss zu stabilisieren. Die Männer reagierten mit einer Gelassenheit, über die Thorsen nur staunen konnte, als wäre ein solch plötzlicher Ausbruch ihr tägliches Brot. So falsch war diese Vorstellung nicht, denn er wusste, dass diese Mannschaft mehr oder weniger nach der Methode ›drill for kicks‹ operierte. Sie hielten den Druck des Mud eher zu gering, um schneller zu fördern und nahmen daher solche Ausbrüche bewusst in Kauf. Es war eine rein wirtschaftliche Überlegung, denn der Aufwand, häufiger solche Kicks zu bändigen, war geringer als der Verlust bei sicherer, aber langsamer Förderung. Als Kontrolleur der
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