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Die programmierten Musen

Die programmierten Musen

Titel: Die programmierten Musen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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kleineren Fontanellen der Silbereier. Auf dem Tisch, nahe dem herabgebeugten Kopf der Frau, stand ein Mikrofon. Es war mit einem Ei verbunden, das etwas kleiner war als die übrigen. Ein Lautsprecher war in die Mundbuchse des Eis eingestöpselt.
    Sie begannen sich zu unterhalten, das Ei mit stetigem, leierndem Tonfall, als habe es zwar die Worte und ihre Steuerung in der Gewalt, nicht aber ihr Timbre und ihren inneren Rhythmus; und die Frau sprach in müdem Singsang, der fast ebenso monoton wirkte.
    F RAU : Leg dich schlafen, leg dich schlafen, Baby.
    Er: Kann nicht schlafen. Habe schon hundert Jahre nicht mehr geschlafen.
    F RAU : Dann geh in Trance.
    Er: Kann keine Trance.
    F RAU : Du kannst, wenn du dich anstrengst, Baby.
    Er: Ich versuch’s, wenn du mich umdrehst.
    F RAU : Hab dich erst gestern umgedreht.
    Er: Dreh mich rum, ich hab Krebs.
    F RAU : Du kannst gar keinen Krebs kriegen, Baby.
    Er: Kann ich doch. Ich bin schlau. Stöpsel mein Auge ein und dreh es um, damit ich mich ansehen kann.
    F RAU : Hast du doch gerade getan. Zu oft macht keinen Spaß. Willst du einen Film sehen, willst du lesen?
    Er: Nein.
    F RAU : Willst du dich unterhalten? Möchtest du mit Nummer 4 reden?
    Er: Nummer 4 ist doof.
    F RAU : Willst du mit Nummer 6 reden?
    Er: Nein. Laß mich dir beim Baden zusehen.
    F RAU : Jetzt nicht, Baby. Hab’s eilig. Muß euch Bälger füttern und dann absausen.
    Er: Warum?
    F RAU : Geschäftlich, Baby.
    Er: Nein. Ich weiß, warum du dich beeilen mußt.
    F RAU : Warum denn, Baby?
    Er: Du mußt dich beeilen, weil du sterben mußt.
    F RAU : Ja, ich muß wohl sterben, Baby.
    Er: Ich sterbe nicht. Ich bin unsterblich.
    F RAU : Ich bin auch unsterblich – in der Kirche.
    Er: Zu Hause bist du aber nicht unsterblich.
    F RAU : Nein, Baby.
    Er: Ich aber. Schick mir einen Gedanken, komm in mein Gehirn.
    F RAU : Bin kein Telepath, Baby, tut mir leid.
    Er: Es ist alles vorhanden. Versuch’s. Versuch’s nur mal.
    F RAU : Bin kein Telepath, oder ihr Bälger könntet es auch.
    Er: Wir sind alle eingelegt, wir liegen auf Eis, aber du bist da draußen in der weiten warmen Welt. Versuch’s doch noch mal.
    F RAU : Ich kann’s nicht versuchen. Ich bin zu müde.
    Er: Du könntest es, wenn du dir Mühe gibst.
    F RAU : Hab keine Zeit, Baby. Muß mich beeilen. Muß euch Bälger füttern und dann lossausen.
    Er: Warum?
    F RAU : Geschäftlich, Baby.
    Er: Worum geht’s.
    F RAU : Muß den Boß besuchen. Kommst du mit, Küken?
    Er: Ist doch nicht geschäftlich – ist bloß langweilig. Nein.
    F RAU : Los, komm, Küken. Da kannst du wieder schlau quatschen.
    Er: Wann denn? Sofort?
    F RAU : Bald. Halbe Stunde.
    Er: Eine halbe Stunde ist ein halbes Jahr. Nein.
    F RAU : Los, komm mit, Küken. Um Mamas willen. Boß braucht ein Gehirn.
    Er: Nimm Rostchen. Er ist übergeschnappt. Daran haben sie ihren Spaß.
    F RAU : Wie sehr übergeschnappt?
    Er: So wie ich. Nimm ein Bad. Du hast sechs Monate. Zieh deinen Kittel aus und zeig deine Kleidung. Zieh sie aus, zieh sie aus.
    F RAU : Hör auf, Küken, oder ich laß dich fallen.
    Er: L OS , mach’s doch. Vielleicht springe ich nur wieder hoch.
    F RAU : Das tust du nicht, Baby.
    Er: Aber natürlich, Ma. Wie Humpty.
    Die Frau seufzte unter ihrer weißen Maske, schüttelte den Kopf und richtete sich auf. »Hör mal, Küken«, sagte sie. »Du willst nicht schlafen, du willst nicht in Trance liegen, du willst nicht reden oder einen Ausflug machen. Willst du zusehen, wie ich die anderen füttere?«
    »Na gut. Aber steck mir das Auge ins Ohr, dann ist es lustiger.«
    »Nein, Baby, das ist Unsinn.«
    Sie stöpselte eine TV-Fischaugenkamera in seine Buchse oben rechts und löste im gleichen Augenblick mit schnellem Ruck die Kabelverbindung zum Lautsprecher. Das Tablett an der Hüfte im Gleichgewicht haltend, berührte sie mit den Fingerspitzen ein benachbartes Ei. Ihre Augen über der Maske verloren jeden Ausdruck, als sie die Temperatur des Metalls abschätzte und das Pulsieren der winzigen isotopengetriebenen Pumpe in der äußeren Fontanelle erfaßte. Sie drückte Finger und Daumen in die Vertiefungen der kleineren Fontanelle und versetzte sie mit geübter Bewegung in Drehung. Im Drehen hob sich die Scheibe langsam in die Höhe. Die Frau fing sie in dem Augenblick auf, da sich die Schraubverbindung löste, und ließ sie in eines der leeren Gläser auf dem Tablett fallen; mit der gleichen Bewegung holte sie eine frische Scheibe aus ihrem Gefäß, setzte sie mit sicherer Bewegung in die Rillen des

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