Die programmierten Musen
scharfzüngige Mädchen auf die Probe stellen – er wollte sehen, wie es damit stand, wollte den Grad seiner Vernarrtheit feststellen. Mit einer einfachen List, aus sexueller Anziehung geboren, versuchte er sich bei ihr anzubiedern, indem er einige halb empfundene Sympathien äußerte, die er den Pflegegehirnen in ihrer augenblicklichen Lage entgegenbrachte. Eine ganze Zeit lang – und sehr erfolgreich, wie er glaubte – brummte er etwas über die Sensitivität der Einsamkeit und den hohen ethischen Standard der Gehirne, über die krassen Ansinnen der beiden Verleger, über Cullinghams literarische Eitelkeit und so weiter. Er schloß: »Ich halte es für eine Schande, die Gehirne solchen Dingen auszusetzen.«
Sie beäugte ihn kühl. »O wirklich?« flüsterte sie. »Nun, ich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich halte es für sehr vernünftig, und Rostchen ist ein Dummkopf, daß er das nicht einsieht. Diese Bälger brauchen Beschäftigung, sie müssen sich mit der Welt herumschlagen und sich die Nase stupsen, mein Gott, wie sehr sie das brauchen! Meiner Meinung nach verhalten sich unsere Bosse sehr nobel. Besonders Mr. Cullingham ist ein feinerer Mann, als ich mir je hätte träumen lassen. Wissen Sie, ich fange an zu glauben, daß Sie wirklich ein Autor sind, Mr. Nüii. Geredet haben Sie jedenfalls wie einer. Sensitivität der Einsamkeit, pah! Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Elfenbeinturm!«
Gaspard war ziemlich beleidigt. »Also, wenn Sie das für eine so großartige Idee halten«, sagte er, »warum weisen Sie Rostchen nicht sofort darauf hin? Ich möchte doch annehmen, daß er auf Sie hört.«
Sie warf ihm einen zweiten höhnischen Blick zu. »Himmel, nicht nur Schreiber, sondern auch noch ein großer Psychologe! Ich soll mich da einmischen und ihre Partei ergreifen, wenn alle gegen Rostchen argumentieren? Nein danke.«
»Wir müssen uns mal darüber unterhalten«, schlug Gaspard vor. »Wie wär’s mit einem gemeinsamen Abendessen heute – wenn Sie überhaupt mal aus der Station herausdürfen?«
»Ist mir recht«, sagte das Mädchen, »wenn Sie wirklich nur Essen und Reden im Sinn haben.«
»Was denn sonst?« fragte Gaspard sanft und schüttelte sich innerlich selbst die Hand.
In diesem Augenblick unterbrach das Ei einige Bemerkungen, die Flaxman über die Schuld der Eierköpfe gegenüber der Menschheit äußerte, und sagte: »Jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, jetzt hören Sie aber mal zu.«
Flaxman verstummte.
»Ich möchte etwas sagen, unterbrechen Sie mich nicht«, tönte die blecherne Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich habe Ihnen lange zugehört, ich bin sehr geduldig gewesen, aber die Wahrheit muß heraus. Wir sind Welten voneinander getrennt, Sie Fleischgebliebenen und ich, und mehr als Welten, denn wo ich bin, gibt es keine Welten – keine Materie, keine Erde, kein Fleisch. Ich existiere in einer Dunkelheit, mit der verglichen die Schwärze des intergalaktischen Alls von strahlender Helligkeit ist.
Sie behandeln mich wie ein kluges Kind, und ich bin kein Kind. Ich bin ein Greis auf der Schwelle zum Tode und zugleich ein Baby im Mutterleib – und mehr und weniger als diese beiden Extreme. Wir Körperlosen sind keine Genies, wir sind Verrückte und Götter. Wir spielen mit Verrücktheiten, so wie Sie mit Spielzeugen und später mit Ihren Apparaten spielen. In jeder Ihrer Stunden erschaffen wir Welten und zerstören sie wieder. Ihre Welt bedeutet uns dabei nichts – sie ist nur eine von vielen Millionen fehlerhaften Varianten. Auf unsere intuitive, unwissenschaftliche Art wissen wir alles, was Ihnen widerfahren ist – viel besser als Sie selbst –, und es interessiert uns doch nicht im geringsten.
Ein Russe hat einmal eine kleine Geschichte geschrieben, in der sich ein Mann einer Wette wegen fünf Jahre lang allein in einem bequemen Zimmer einschließen ließ; in den ersten drei Jahren verlangte er zahlreiche Bücher, im vierten Jahr wollte er die Bibel haben, und im fünften Jahr wollte er nichts mehr. Unsere Situation, allerdings tausendfach verstärkt, ist ähnlich. Wie konnten Sie nur annehmen, daß wir uns dazu herablassen würden, Bücher für Sie zu schreiben, Kombinationen und Variationen menschlicher Sorgen und Haßgefühle für Sie zu schaffen?
Unsere Einsamkeit liegt jenseits Ihres Verstehens. Sie durchkriecht einen, bringt einen zum Erschauern, macht einen krank auf ewig. Wir leiden unter dieser Einsamkeit, und von Zeit zu Zeit denken wir – alles andere als liebevoll, lassen Sie mich
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