Die Prophetin vom Rhein
hatten. Besonders schwer traf es das Geschlecht der Meingoten, die von Anfang an gegen dessen Wahl rebelliert hatten, weil sie einen Mann aus den eigenen Reihen auf dem Bischofssitz bevorzugt hätten. Da die meisten von ihnen bereits aus der Stadt geflohen waren, um sich weiterer Bestrafung zu entziehen, musste der kümmerliche Rest der Zurückgebliebenen nun mit ansehen, wie all das in Flammen aufging, was ihre Vorfahren erworben und aufgebaut hatten.
Dabei kam es immer wieder zu ergreifenden Szenen: Frauen und Kinder zogen weinend und schreiend durch die Straßen und beklagten lauthals ihr Schicksal; andere Meingoten wollten ihre Häuser um keinen Preis verlassen und mussten erst mit Waffengewalt aus ihnen vertrieben werden. Die ganze Stadt stank nach Brand, und das Greinen
der Betroffenen wollte bis in die Nacht hinein kein Ende nehmen. Barbarossa aber hielt ungerührt weiterhin seinen Hoftag ab und verschloss seine Ohren allem Bitten und Flehen. Auch Konrad von Wittelsbach, der neu gewählte Erzbischof, rührte keinen Finger, um die Not seiner Bürger zu lindern, sondern verschanzte sich mit dem Kaiser und den anderen hohen Reichsfürsten in seinem schwer bewachten Bischofssitz.
Gero und Freimut waren zunächst heilfroh gewesen, dass Herzog Heinrich sie mit einer ganz anderen Aufgabe betraut hatte. Ihnen und einer größeren Schar Ritter oblag die Zerstörung der Stadtmauer, was sich allerdings als zähes, mühsames Geschäft herausstellte, denn die massiven Steinquader erwiesen sich als erstaunlich widerstandsfähig gegen alle Arten von Wurfgeschossen. Zwar verfügten die Krieger seit der Belagerung der lombardischen Kommunen über reichlich Erfahrung im Stürmen von Stadtmauern, aber es zeigte sich, dass es eine andere Sache war, gegen einen Feind anzukämpfen, der einen von oben mit Pech, siedendem Öl oder Pfeilhagel bedrohte, als wehrlosen Menschen das zu nehmen, was sie lange Zeit als Schutz und Schirm vor drohender Gefahr betrachtet hatten.
»Was soll die Leute nun künftig schützen?«, fragte Gero, als er abends neben Freimut im Zelt auf der Mainaue lag. »Der nächste Feind, der Mainz bezwingen will, hat ungestörten Zutritt zu der alten Bischofsstadt.«
»Der Kaiser hat diese harte Strafe über die Mainzer verhängt, und er weiß genau, was er da tut«, erwiderte Freimut schlaftrunken. »Immerhin wurde der Erzbischof - sein Stellvertreter und der wichtigste Fürst im ganzen Reich - feige ermordet. Wenn er jetzt kein Exempel statuiert, macht diese schreckliche Tat womöglich noch Schule. Dann wäre künftig kein Fürst oder Edelmann seines Lebens mehr
sicher, sobald seine Herrschaft dem Volk nicht länger passt.«
»Ich weiß, wer es wirklich getan hat«, sagte Gero leise und erschrak über seine eigenen Worte. »Den wahren Mörder sollte man mit aller Härte bestrafen - nicht all diese anderen Menschen.«
Freimut setzte sich abrupt auf. »Was soll das heißen? Wir haben doch gemeinsam den toten Arnold aufgefunden!«
»Und zwischen seinen Rippen steckte ein Messer - du erinnerst dich noch?«
»Ganz genau.«
»Ein Messer, das ich leider nur allzu gut kenne. Denn mit ihm musste ich einmal mein Leben verteidigen und das einer wehrlosen Schwangeren dazu, damals in Bingen, als ich noch ein halbes Kind war. Sein Besitzer war Dudo, der Kanonikus. Er muss das Messer später offenbar zurückerhalten haben. Da war ich aber schon fort.«
»Wieso rückst du erst jetzt mit dieser seltsamen Geschichte heraus?«
»Weil ich keinerlei Beweise habe. Aber du, mein Freund, du glaubst mir doch?«
»Und wie und wo …«
Gero ließ ihn nicht ausreden. »Es macht jetzt keinen Sinn, in Einzelheiten zu kramen, die schon so lange zurückliegen. Es war Dudos Messer, das Arnold getötet hat. Das schwöre ich bei meiner Schwerthand.«
Eine Weile blieb es still im Zelt.
»Wenn du dir so sicher bist, sollte der Kaiser das unbedingt erfahren«, sagte Freimut schließlich. »Oder Herzog Heinrich, den du gegebenenfalls als Vermittler einschalten könntest. Zögere nicht länger, Gero! Denn kommt es später doch heraus, und du hast geschwiegen - das würden sie dir gewiss niemals verzeihen.«
»Ich trete doch nicht vor den Herzog oder gar den Kaiser mit bloßen Anschuldigungen und Vermutungen«, fuhr Gero auf. »So ein Verhalten wäre eines edlen Ritters unwürdig. Beweise brauche ich, dann werde ich reden. Oder besser noch, ein Geständnis.«
»Aber wie willst du das anstellen? Dieser Dudo hat Mainz offenbar längst
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