Die Prophetin vom Rhein
Prophetin vom Rhein, die von Gott geliebt wird. Um meiner Kinder willen, Mutter, hört mich an!«
»Also gut«, sagte Hildegard nach kurzem Zögern und versuchte, eine halbwegs bequeme Stellung einzunehmen. »Lasst uns allein!«
Die anderen Schwestern verließen den Raum.
»Es waren seine Blicke«, murmelte Ada. »Warm und voller Bewunderung, über Monate, ohne ein Wort, das alles nur zerstört hätte. Damit hat es angefangen. Ich war schon so lange allein und wusste, das würde auch mein Schicksal bleiben, denn mein Mann würde nie wieder vom Kreuzzug zurückkehren. Mein Schwager Götz dagegen, Roberts jüngerer
Bruder, der hat mich angestiert, als wäre ich eine Sau, die reif zum Schlachten ist. Immer wieder hat er mich bedrängt, damit ich doch noch schwach werde, aber ich hab ihn stets zurückgewiesen. Bis dann eines Tages Richard …«
Sie hustete. Die Magistra stützte ihren Rücken und ließ sie aus einer tönernen Schale Herzwein trinken.
»Ah, in mir lodert wahrlich ein Feuer, das alles Blut aus mir strömen lässt. Ich war mein ganzes Leben lang keusch und treu, bis zu jener Nacht im letzten Herbst, nach dem großen Fest, als sich alle schon zum Schlafen zurückgezogen hatten. Ich war noch durstig, bin zurück in die Küche, und da stand er auf einmal im Halbdunkel …«
Ihre dünnen Lider zuckten.
»Ein Waldgeist, ein Fabelwesen! Erst haben wir uns nur angesehen, dann aber hat er mich auf einmal geküsst, der schöne junge Mann, und ich, ich hab es geschehen lassen. In seinen Augen war so viel Anfang, versteht Ihr, Mutter? Keine Angst, keine Berechnung, nichts als Neugierde und Hoffnung. Sein heißes, festes Fleisch zu spüren! Mit einem Mal war ich selbst wieder jung …«
»Strengt Euch nicht zu sehr an«, sagte Hildegard, »Ihr müsst jetzt haushalten mit Eurer Kraft!«
»Wozu? Ich sterbe doch ohnehin. Aber zuvor sollt Ihr alles erfahren.«
Wieder benetzte Hildegard Adas Lippen und bettete ihren Kopf bequemer.
»Macht es Euch ärgerlich, dass ich über die Wollust rede?« Jetzt klang Ada wie ein kleines Mädchen.
»Dass Ihr an jenem Abend nicht widerstehen konntet? Ähnliches hab ich schon oft gehört. Als im Paradies nach dem Sündenfall der Strom der Begehrlichkeit über Eva hereinbrach, wurden all ihre Gefäße für den Blutfluss geöffnet. Daher spürt jede Frau ab und an das Stürmen des
Blutes in sich, genauso wie Ihr es gespürt habt. Wenn Ihr nun aber aus reinem Herzen bereut und vor Gott …«
»Dass ich ihm beigelegen bin, Richard, dem Bankert meines Schwagers, mit dem er übler umspringt als mit seinen Hunden? Nein, das bereue ich nicht! Doch welch großes Unheil daraus erwachsen ist, das bereue ich zutiefst. Ein Kind? Keiner von uns beiden hat in diesem Augenblick an so etwas gedacht. Und später dann der schreckliche Zorn meines Schwagers, der seinen Sohn hasst und nicht ertragen konnte, dass dieser etwas geschenkt bekam, was ihm verwehrt geblieben war! Eine Hure hat er mich geschimpft, die das Erbe des Verstorbenen verwirkt habe, und er hat behauptet, dass auch Gero niemals Roberts leiblicher Sohn sein könne, sondern auch nur ein Bankert sei, den ich ihm untergeschoben hätte …«
Sie presste die Hände auf den Bauch und schien auf einmal mit ihrem toten Kind zu sprechen.
»Vor allem bereue ich, dass ich mich gemeint, aber dich getötet habe. Vergebt mir, Mutter! Und nehmt Euch meiner lebenden Kinder an! Auch wenn die Menschen weit und breit zu Euch aufschauen und Euch eine Heilige nennen, so seid Ihr zuallererst doch ein Weib aus Fleisch und Blut, mit einem mitfühlenden Herzen …«
Die Tür flog auf. Mit angsterfülltem Blick stand Gero auf der Schwelle.
»Mama!«, rief er. »Mama, was ist mit dir? Ich kann dich doch beschützen, immer beschützen, das weißt du doch!«
»Mein kleiner Ritter!«, flüsterte Ada unter Tränen. »Du musst jetzt ganz tapfer sein.«
»Das hat Theresa auch schon gesagt. Aber ich bin doch tapfer. Und, Mama …«
Schwester Hedwig kam ihm nachgelaufen und zog ihn mit sanfter Gewalt wieder nach draußen.
»Vergebt mir, Mutter!«, murmelte Ada. »Könnt Ihr mir vergeben?«
»Das kann nur ein ungleich Mächtigerer als ich«, lautete Hildegards Antwort. »Deine Seele kennt allein der dreifaltige Gott.«
»Ich bereue und bitte Gott um Vergebung.« Sie war kaum noch zu verstehen.
Hildegard tauchte ihre Finger in das geweihte Öl, salbte Adas Stirn, dann die Augen, Ohren, die Nase, den Mund und schließlich die Hände, die so rastlos auf der
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