Die Prophetin vom Rhein
Adrian würde zufrieden mit ihr sein. Und sie ein echtes Mitglied der Kirche der Liebe werden, wonach sie sich schon so lange sehnte.
»Erzbischof Heinrich war ein gütiger Hirte, der selbst bei den schlimmsten Sündern Gnade vor Recht gelten ließ.« Hildegards Stimme war ruhig, ihre Unterlippe aber hatte sie nicht ganz unter Kontrolle. »Arnold von Selenhofen dagegen gilt als Mann, der all jene bis aufs Blut hasst, die vom rechten Glauben abgefallen sind. Man sagt sogar, es gefalle ihm, sie brennen zu sehen.« Mit sehr geradem Rücken schritt sie an Magota vorbei.
Diese starrte ihr nach, Tränen ohnmächtiger Wut in den
Augen. Das ist das letzte Mal, dass du das letzte Wort behältst!, dachte sie zornentbrannt. Ich werde dich Demut lehren, so wahr ich dem guten Gott diene!
Er war ein ganzes Stück größer als in ihren Träumen, männlicher - und er sprühte vor Leben. Der Sommer hatte seine helle Haut leicht gebräunt, was den faszinierenden Farbunterschied der Augen unterstrich. Sein Haar erschien ihr noch dichter, aber sie entdeckte neue, harte Linien um seinen Mund, die sie eher besorgt machten. Wie mochte es ihm ergangen sein? Was hatte er erlebt, während sie hinter Klostermauern begraben gewesen war?
Theresas Herz hämmerte.
Nicht ein Wort würde sie herausbringen! Voller Verlegenheit flogen ihre Blicke über die ausgelegten Waren, keineswegs feines Tuch oder gar raschelnde Seide, wie man hätte annehmen können, sondern grobes Walkzeug, das man für die kalten Monate brauchte.
Willem schien zu erraten, was sie dachte.
»Ein Versuch, viel mehr ist es bislang leider noch nicht«, sagte er und kam hinter seinem Stand hervor. »Kostbare Tuche können sich nur wenige leisten, doch wenn es graupelt und schneit, dann frieren alle und brauchen etwas, das sie wärmt. Bezahlbar muss es schließlich auch noch sein. Vielleicht lässt sich auf Dauer mit Gewalktem ein ordentliches Geschäft aufziehen.« Er hielt inne, musterte sie aufmerksam. »Lebst du denn nicht mehr im Kloster, Theresa?«
Das Kleid!, dachte sie jubelnd, und ihr ganzer Körper war plötzlich vor freudiger Erregung angespannt wie eine Lautensaite. Gerlin und ihr übel riechender Rainfarnsud,
dem das Kleid sein blasses Grün verdankt, seien gepriesen! Am liebsten hätte Theresa Willem stundenlang weiter so angesehen, versunken in ihrer eigenen Welt, die er hell und reich machte, ohne es zu ahnen. Aber irgendwann musste sie seine Frage ja wohl beantworten.
»Schon«, sagte sie zögernd. »Doch eine Braut Christi bin ich nicht geworden.«
Willems Mund verzog sich leicht, als ob die Antwort ihm missfalle, was wiederum Theresa verdross. Wieso konnte er nicht weiterhin in ihrem Herzen lesen? Es lag doch offen vor ihm wie ein aufgeschlagenes Buch!
»Seit Langem bin ich wieder einmal einige Zeit in Bingen«, fuhr er fort, als hätte sie gar nichts gesagt. »In dem Haus, das du schon kennst. Wir sind gerade dabei, einen Apparat zu konstruieren, der das Walken einfacher machen soll. Kein ganz leichtes Unterfangen, doch anderen scheint vor uns Ähnliches bereits gelungen zu sein, und wenn wir bald aufschließen, könnte man sicherlich um einiges schneller und billiger produzieren.«
Wieso vertraute er ihr lauter Dinge an, mit denen sie nichts anzufangen wusste? Oder redete Willem nur, weil er die Spannung zwischen ihnen ebenso wenig ertragen konnte wie sie?
Theresa strich sich eine Strähne aus der Stirn. Wäre es nach ihr gegangen, so hätte sie ihr Haar endlich einmal in weichen, offenen Wellen getragen, so wie früher, doch die Magistra hatte auf diese albernen Zöpfe bestanden, die sie wieder zum Kind machten.
»Du bist so erwachsen geworden, Theresa«, hörte sie Willem zu ihrer Überraschung sagen. »Wie alt bist du inzwischen?«
»Sechzehn«, erwiderte sie, beflügelt vom trügerischsten aller Gefühle, der Hoffnung. »Seit diesem Sommer.«
»Sechzehn«, wiederholte er nachdenklich, als würde er sie auf einmal mit anderen Augen sehen.
Erkannte er endlich, wen er da vor sich hatte? Alles in ihr zog sich zusammen zu einem heißen, sehnsuchtsvollen Knoten.
Als hätte Willem gespürt, was in ihr vorging, beugte er sich zu ihr hinunter. Seine seltsamen Augen erschienen ihr wie Hände, die sie liebkosten. Dann ging auf einmal ein Schatten über sein Gesicht, als wäre ihm etwas in den Sinn gekommen, das alles verdüsterte. Jetzt sah er traurig aus, so verloren, dass sie Angst um ihn bekam.
»Sprich mit mir!«, bat sie. »Was bedrückt dich?
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