Die Prophetin von Luxor
Hüften.
Offenbar sollte sie in dieser Halluzination eine Exhibitionistin mit enormer Fußarztrechnung spielen.
Seufzend setzte sie sich an den Ankleidetisch und winkte Irit zu sich. Nachdem das Mädchen erst einmal den Blick von Chloes Riesenfüßen losgerissen hatte, malte es zum Schutz gegen die Sonne lange schwarze Bleiglanz-Schatten um Chloes Augen.
Sobald Chloes kinnlanges schwarzes Haar getrocknet war, flocht Irit es zu Zöpfen, deren Enden sie in regelmäßigen Abständen mit silbernen Bändern umwand. Sie faßte hinter sich nach einem kleinen Weidenkästchen, öffnete es und gab damit den Blick auf eine Schmuckkollektion frei, für die der Louvre ein Vermögen springen lassen würde. Alles war aus reinem Silber. Die »andere« mahnte sie, daß Hathors Priesterinnen niemals Gold trugen. Tapfer streckte Chloe die Hand nach einem Armreif und einem Ring aus.
»Würde meine Herrin einen Kragen wählen?« fragte Irit, ein wenig eingeschüchtert, wie Chloe fand. Die Auswahl war unglaublich. Sie entschied sich für einen filigranen Silberkragen mit emaillierten Lotospflanzen und Vögeln. Irit befestigte ihn um Chloes Hals und fügte unten noch einen bildschönen Fal-ken-Brustschmuck an, der schwer unter Chloes notdürftig verdecktem Busen ruhte und unter dem ihre eigene Ankh-Kette verschwand. Chloe stand auf und versuchte, in dem polierten Bronzestück, das als Spiegel herhalten mußte, ihr Bild zu erkennen.
Auch das war unglaublich. Die Juwelen, die vielen Einzelheiten ihrer Kleidung, der schwache Myrrheduft in der Luft, der dissonante Singsang, der hin und wieder zu hören war . und jetzt das. Chloe sah sich nicht selbst. Ihr starrte ein Grabgemälde ins Gesicht. Mitsamt engem weißem Kleid, schwarz nachgemalten Augen und Brauen. Nur der Blick ihrer schräggeschnittenen grünen Augen wirkte vertraut. Chloe drehte sich um, denn sie hatte das Gefühl, daß sie beobachtet wurde.
Der dunkeläugige Mann von gestern, Nesbek, wie die »andere« in ihrem Kopf soufflierte, trat auf sie zu.
Er war untersetzt und breit, offensichtlich schon älter und mit Gold überladen ... mit Kragen, Armbändern, Armreifen und Ringen. Seine Augen waren klein und lagen tief in den Höhlen. Aus ihnen sprach eine Empfindung, die Chloe nicht zu lesen vermochte. Wie auf einen unausgesprochenen Befehl hin leerte sich das Zimmer.
»RaEmhetepet.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Ich bin sicher, du erinnerst dich an mich?« Er machte noch einen Schritt vorwärts, verschlang Chloes Leib mit Blicken und zog die Stirn in Falten, als er auf ihre Füße sah. »Es wäre zu schade, wenn ich dich an mich erinnern müßte .«
Sein Ton war zugleich neckisch und bedrohlich, deshalb machte Chloe einen unsicheren Schritt zurück.
Er lächelte und entblößte dabei strahlende Goldzähne.
»Ich muß auf mein Gut in Goshen reisen, aber sobald ich eine Apiru zur Räson gebracht habe, kehre ich zurück, um meine Braut zu holen.« Er sah sich kurz um und hob dann den Schurz. »Möchtest du mir jetzt schon etwas geben? Einen Beweis deiner Gunst , damit ich dich nicht vergesse?«
Chloe wandte den Blick ab, denn sie wollte gar nicht wissen, worum es hierbei ging. Spielte sie in dieser Halluzination eine Perverse? Sie bekam eine Gänsehaut, so verschlang er alles, was ihr durchsichtiges Kleid verriet. Instinktiv bedeckte sie die Brüste mit ihren Händen und wünschte sich einen Umhang.
»Aiii, ich sehe, daß du erschrickst.« Er ließ den Schurz fallen und strich die Falten mit fetten manikürten Händen glatt. »Wie schade, daß du eine so«, er hielt inne, »leidenschaftliche und einträgliche Beziehung vergessen hast. Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, sie dir in Erinnerung zu bringen.«
Er streckte die Hand nach ihr aus und wurde nur von einer samtenen, rasierklingenscharfen Stimme gebremst.
»Die Herrin ist immer noch in ihrer Dienstzeit, während der kein Mann sie erkennen darf. Wenn du sie berührst, werden die Schwesternschaft und die Göttin Hathor dich zur Rechenschaft ziehen, weil du eine ihrer liebsten Dienerinnen befleckt hast.«
Schlagartig blickten Chloe und Nesbek zur Tür, wo sich die Silhouette eines großen Ägypters abzeichnete. Er trat ins Zimmer, und Chloe sah ihn in ganzer Größe, von der bodenlangen Robe bis zu seiner rot-gold-gestreiften Kopfbedeckung. Das gefältelte Kopftuch saß quer über seiner Stirn und fiel ihm auf die Schultern, seine kräftigen, bronzefarbenen Gesichtszüge umrahmend, die trotz der
Weitere Kostenlose Bücher