Die Prophetin von Luxor
der die Priesterin davon abhält, dich zu verehren ...« Dann spritzte er das Wasser in Chloes Gesicht. Sie zuckte überrascht zusammen und sah, wie Basha einen Schritt zurückwich und ihren Brustschmuck mit dem Horusauge umkrampfte.
Cheftu blieb vor Chloe stehen und sah ihr ins Gesicht.
»Basha«, rief er über die Schulter, »vier Tage lang muß die Herrin viermal täglich das Wasser mit der Kraft des Anubis nehmen. Das Gebet mußt du für sie sagen, bis sie wieder selbst sprechen kann.« Chloe senkte den Kopf, denn sie spürte, wie das Wasser von ihrem Gesicht auf ihr Kleid rann und es durchsichtig werden ließ. Sie kreuzte die Arme vor der Brust. Cheftu bemerkte die Geste und stieß ein dunkles, bellendes Lachen aus, dann ließ er sie allein.
Er verschwand, um ein paar Kräuter zu mischen, gefolgt von den anderen. Chloe ließ sich auf ihren Stuhl sinken; sie zweifelte ernsthaft an dem Erfolg der medizinischen Behandlung, die sie eben erhalten hatte. Hatte Cammy nicht behauptet, die Ägypter seien medizinisch schon sehr weit gewesen? Einläufe und Kräutertee? Sie seufzte. Offenbar war der schlanke Ägypter keine große Leuchte auf seinem Gebiet, selbst für hiesige
Maßstäbe. Jetzt, wo sie endlich ohne Publikum war, wischte sie sich das Wasser vom Gesicht.
Vierzehn Tage waren vergangen, seit sie in diesem weißen Zimmer aufgewacht war. Seit vierzehn Tagen hatte sie ständig zu hören bekommen, daß sie sich im alten Ägypten zur Zeit der friedvollen Herrschaft des Großen Hauses König Hatschepsut befand . die man zu Chloes Zeit Pharaonin nennen würde.
Vierzehn Tage lang steckte ihr eigener Körper mittlerweile in der Haut einer Fremden. Seit vierzehn Tagen suchte sie bereits nach einer Erklärung und erwog dabei die Alternativen Drogen, Wahnsinn, Traum in Technicolor . oder Wirklichkeit.
Während ihres Aufenthalts hier hatte sie sich zähneknirschend daran gewöhnt, daß sie, genau wie sie mit RaEmhete-pets Körper verschmolzen war - falls sie wirklich mit ihr verschmolzen war -, auch Zugang zu RaEmhetepets Gedanken hatte. Wie und warum - und bisweilen auch ob - das geschehen war, wußte sie nicht, und sie wußte auch nicht, wem oder wie sie diese Fragen stellen sollte.
Sie war wieder zu Kräften gekommen und fragte sich seit einiger Zeit bereits, wie sie wieder in ihr eigenes Leben zurückkehren konnte - vorausgesetzt, diese Möglichkeit bestand. Sie beschloß, daß sie noch heute nacht aus ihrem Zimmer schleichen und zu dem Altar zurücklaufen würde, wo man sie gefunden hatte - in der Hoffnung, daß eine bestimmte Kombination von Zeit und Raum sie in ihr eigenes Jahrhundert zurückversetzen würde. Wenn sie tatsächlich eine Zeitreise gemacht hatte.
Falls es so etwas überhaupt gab.
Doch einstweilen tauchten ständig neue Menschen auf, drohten ihr, schäkerten mit ihr und erzählten ihr von Vorfällen oder Geschichten, die allem Anschein nach mit den ihr unzugänglichen emotionalen Erinnerungen zu tun hatten, so wie die verhüllte Gestalt, die mitten in der Nacht neben ihrem Bett aufgetaucht war und, das Gesicht vollkommen unter der Kapuze verborgen, Zaubersprüche rezitiert hatte. Chloe war reglos auf der Seite liegengeblieben, den Kopf auf den Arm gebettet. Offenbar hatte ihre Besucherin nicht damit gerechnet, daß sie aufwachte, und als Chloe die ausgestoßenen Verwünschungen hörte, wollte sie auch gar nicht wach werden. Etwas von Rache für die Familie der anderen, damit das ka irgendeines Bruders endlich Ruhe fand. Alle gaben sich Mühe, ihre Erinnerungen wieder zu wecken; ihnen war nur nicht klar, daß sie die falschen Erinnerungen hatte. Was immer RaEmhetepet auch gewesen sein mochte, sie hatte sich mit ein paar echten Fieslingen eingelassen und balancierte am Rande einer großen Gefahr.
Cheftus Stimme riß sie aus ihren Gedankengängen: »... von deiner glücklichen Zukunft zu träumen.« Er setzte einen Alabasterkrug auf dem Tisch ab und wandte sich zum Gehen. Die Jungen sammelten ihre Gerätschaften ein. Chloe streckte die Hand aus und hielt ihn am Unterarm zurück.
Er fuhr herum, mit zornigen goldenen Augen und bitterer abweisender Stimme. »Laß mich in Frieden, RaEm. Ich bin an deinen Ränken und Spielen nicht mehr interessiert. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wieso du nicht sprechen willst und mit welchem Zauber du deine Augenfarbe verwandelt hast, aber es kümmert mich auch nicht mehr. Die Vergangenheit liegt hinter uns - nur aufgrund deines Ranges bin ich hier.
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