Die Prophetin
ein Geschenk für Erika zurück.
Mojave-Wüste, Kalifornien
›Ich begegnete Satvinder auf einem Fischzug…‹ Catherine zog die Augenbrauen zusammen. Dann las sie den Satz, den sie gerade übersetzt hatte, noch einmal. Er ergab keinen Sinn.
Sie griff nach der Lupe, richtete die Lampe auf das Papyrus und betrachtete sich genau das letzte Wort.
Λγρα… eindeutig: αγρα.
Sie schlug in Strangs Griechisch im Neuen Testament das Wort #0061-GSN nach: ›agra – ein (Fisch)Zug.
KJV: Fischfang‹ Catherine blickte wieder auf den Papyrus, zog die Lampe so nahe heran, daß durch die Hitze der Glühbirne ihr Haar heiß zu werden begann, veränderte langsam den Abstand der Lupe zur Papy-russeite und hielt den Blick auf das fragliche Wort gerichtet.
Dann sah sie es. Zwischen dem ›y‹ und dem ›p‹ befand sich ein winziges ›0‹.
»›Agora‹« rief sie erleichtert so laut, daß Garibaldi, der am Computer saß, erstaunt den Kopf hob.
»Du meine Güte, wie kann man nur so dumm sein! Sabina begegnet Satvinder natürlich auf dem ›Markt‹
und nicht auf einem ›Fischzug‹!« Sie griff nach dem Kugelschreiber und warf ihn quer durch das Zimmer.
»He!« rief Garibaldi und zog schnell den Kopf ein, so daß der Kugelschreiber ihn nicht traf. »Sagen Sie es rechtzeitig, wenn Sie demnächst mit Messern nach mir werfen.« Sie lachte. »So war es nicht gemeint. Das sind die Nerven. Der Zeitdruck ist unerträglich. Havers hat zwar nicht alle Photos, aber die meisten. Ich sitze über dem brüchigen Papyrus und kann nur langsam und vorsichtig an einem kaum lesbaren Text arbeiten. Er dagegen hat Reproduktionen, die er vergrößern, vervielfältigen und jedem geben kann, der sich ihm als nützlich erweist. Vermutlich läßt er mehrere Leute gleichzeitig übersetzen, oder ein paar fangen von rückwärts an. Das bedeutet, Havers hat die wichtigen Hinweise bereits gefunden, nach denen ich noch suche. Vielleicht kennt er schon die Stadt oder das Land, in dem König Tymbos regierte. Stellen Sie sich vor, er ist bereits auf dem Weg zu dem Platz, wo die siebte Schriftrolle liegt, während wir hier wie Gefangene sitzen, ich wie eine Schnecke übersetze und Sie sich wie ein Dieb ins Internet schleichen, um es schnell und unerkannt wieder zu verlassen!«
Garibaldi stand auf und streckte sich. »Ja, wir haben Probleme. Wir haben zwar von dem neuen Service Provider die Zugangsberechtigung, aber das Konto ist noch nicht aktiviert.« Sie warf einen Blick auf den Bildschirm. »Glauben Sie, man ist uns auf der Spur?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er und trat ans Fenster. »Es ist bestimmt riskant, noch einmal Online zu gehen.« Sie befanden sich inzwischen mitten in der Wüste in einem Motel, das aus einer Reihe rosa verputzter Bungalows bestand. Auf dem Nachttisch zwischen den beiden Betten lagen für die Besucher Hinweise auf die Sehenswürdigkeiten der Umgebung: die Geisterstadt Calico, Edwards Air Force Base – Landeplatz der US Space-Shuttle; Death Valley: der tiefste Punkt der westlichen Hemisphäre; Indianerhöhlen.
Auf der endlosen Busfahrt nach der überstürzten Abreise aus Goshen hielt Catherine Ausschau nach allem, was es auf der Straße an Lebenszeichen zu sehen gab. Aber außer Plakaten mit Klapperschlangen und Hinweisschildern auf Indianergräber und Dinosaurierskelette war es wirklich wenig. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen weißblonden Haare. »Es wäre eine große Hilfe, wenn wir wüßten, im Auftrag welches römischen Kaisers Cornelius Severus durch das Reich reiste.«
»Es wäre auch nicht schlecht«, sagte Garibaldi und schob den Vorhang etwas beiseite, um ins Freie blicken zu können, »wenn wir wenigstens einen der Familiennamen dieser Frauen kennen würden.«
Die Suche im Netz hatte viele Hinweise auf ›Amelias‹ und sogar auf ein paar ›Perpetuas‹ gebracht. Aber die Suche nach ›Philos‹ ergab unzählige Verweise auf Worte mit der Silbe ›philos‹. Catherine wandte sich seufzend wieder dem ausgebreiteten Dokument zu. »Die Lücken im Papyrus sorgen natürlich dafür, daß uns wesentliche Informationen vorenthalten bleiben.«
»Leider ist Papyrus keine Festplatte. Löscht man etwas auf der Festplatte, kann man es später trotzdem wieder zurückholen, wenn es nicht mit anderen Informationen überschrieben ist. Aber fehlendes Papier?
Wenn es fehlt, dann fehlt es eben.« Garibaldis prüfender Blick aus dem Fenster war nur Routine, denn er glaubte nicht, daß ihnen jemand am
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