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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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Doronits Geschichte
    Es stimmt schon, in den Adern meine Eltern floss das Blut der Wanderer. Aber von ihrem Wesen her waren sie so sesshaft, wie man nur sein kann. Ich war noch ein Kind und wurde in der Nähe einer Kleinstadt weit weg von Turvite Richtung Wind Cities groß. Mein Vater war Stallknecht für einen der größten Bauern in der Gegend, meine Mutter arbeitete abends als Melkerin, damit die Frau des Bauern für ihre Kinderschar Abendessen machen konnte.
    Ich denke, es war eine glückliche Kindheit, aber eine einsame. Keines der Kinder aus der Gegend durfte mit mir, der Wanderergöre, spielen. Sie warfen mit Steinen nach mir, aber ich lernte, ihnen auszuweichen. Darin, dem Schlamm oder dem Kuhdung auszuweichen, war ich allerdings nicht so geschickt. Wären sie einer nach dem anderen auf mich losgegangen, hätte ich mich wehren können, doch das taten sie nie. Ich zockelte danach stets nach Hause und blieb einfach in der Tür stehen, bis meine Mutter mich entdeckte. Sie zog dann immer so eine Miene. Beim ersten Mal glaubte ich, sie würde sich über mich ärgern, über die Arbeit, die ich ihr machte. Ich ließ den Kopf hängen, aber sie schob mich zum Feuer hinüber und wechselte meine Kleider und sprach dabei so sanft mit mir, dass ich begriff, dass es nicht meine Schuld war, und so wurde ich wieder vergnügter.
    Später kauften sich meine Eltern eine eigene Kuh und
ein paar Ziegen, die meiner Obhut überlassen wurden. Ich hasste es, aber was blieb mir übrig?
    In dem Frühjahr, in dem ich sechzehn wurde, ging ich den Weg zu unserem Cottage, brachte Brunnenkresse und ein paar Blätter Kapuzinerkresse für das Abendessen nach Hause. Ich sann gerade über mein Leben nach, wie man es eben tut, wenn man sechzehn ist und sich für unglücklich hält. Das Pferd, das hinter mir hochging, hörte ich erst, als es schon zu spät war. Ich hörte leise Hufgeräusche auf dem Kies und dann ein Schnauben und drehte mich um, doch der Mann des Kriegsherrn war schon vom Pferd abgestiegen und bekam mich im nächsten Moment zu fassen. Ich kannte ihn vom Sehen und seinen Ruf; er war gewalttätig, verrückt geradezu und trotzdem einer der Günstlinge des Kriegsherrn. Sein Name war Egbert, doch alle nannten ihn Fist. Er grinste mich an.
    Was bringt es, es zu beschreiben? Es gibt gar keine Worte für den Schrecken, die Verzweiflung, die Einsamkeit. Er drückte mich mit dem Gesicht nach unten in den Frühlingsschlamm, bis mir dieser in Mund und Nasenlöcher drang, sodass ich kaum noch Luft bekam, und nahm mich grunzend von hinten. Auf beiden Wegen. »Wandererschlampe, Abschaum, Hure, Scheißhaufen, Dreckstück …« Und als er fertig war, stand er auf, trat mir noch einmal in die Rippen, stieg wieder auf sein Pferd und ritt davon.
    Ich wollte nur noch liegen bleiben und sterben. Dann musste ich mich übergeben, stützte mich auf Hände und Knie, um zu würgen.
    Das Schlimmste ist, dass man nicht stirbt. Man muss aufstehen und nach Hause taumeln, eintreten und den Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter sehen. Nie werde ich ihren Gesichtsausdruck an diesem Tag vergessen. Es war dieselbe Miene, mit der sie mich immer bedacht hatte,
wenn ich mit Mist überzogen nach Hause kam, aber jetzt war ich alt genug, um sie zu verstehen. Es war nicht bloß ihr sofortiges Verstehen und ihr Entsetzen. In ihrem Blick lag auch eine Art Demütigung und ein Aufgeben, ein Akzeptieren unserer Situation, der Stellung von Wanderern in den Domänen, eine Hinnahme, dass sich nichts daran ändern ließ, dass keine Gerechtigkeit zu erwarten war. In diesem Moment wusste ich, dass jemand einst auch meine Mutter mit dem Gesicht nach unten in den Schlamm gedrückt hatte. Seltsamerweise war ich wütender über diese lang vergangene Schändung als über meine eigene, und dieser Zorn blieb bei mir und hinderte mich daran, zu weinen.
    Sie blieb einen Moment wie gelähmt stehen. Schließlich kam sie auf mich zu, hielt mich, zog mich aus, machte Wasser heiß, siedend heiß, und ließ mich ein Bad nehmen und die kleine Menge Apfelschnaps trinken, die mein Vater hinter dem Hafertopf aufbewahrte. Dann kaute sie auf etwas Raute, während sie mir Haar und Hände wusch, und dabei sang sie leise und drängte mich dazu, zu weinen, es herauszulassen, es gehen zu lassen. Ich konnte es nicht, obwohl ich es wollte, und sei es nur, damit sich meine Mutter besser fühlte. Ich wusste, was sie vorhatte mit der Hitze, den Kräutern und dem Alkohol. Aber heißes Wasser und Raute

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