Die Prophezeiung der Steine
wirken nicht immer, und es war nicht einmal genug Apfelschnaps da, um ein Eichhörnchen schwindelig zu machen, sodass ich drei Wochen später bemerkte, dass ich schwanger war.
»Du bist selbst schuld«, sagte mein Papa. »Du hättest diesen Weg nicht allein entlanggehen dürfen. Du weißt doch, dass die Männer des Kriegsherrn Wanderermädchen für Freiwild halten.«
»Was soll sie denn tun?«, meinte meine Mama. »Nie aus der Tür gehen?«
Ihre Stimme war sanft, und ich konnte auch auf ihn nicht wütend sein, weil ich gesehen hatte, wie er sich die vielen Tränen weggewischt hatte, die ich an dem Abend, an dem es passiert war, nicht hatte vergießen können. Ich hatte gesehen, wie er da gestanden und stundenlang auf das Feuer gestarrt hatte, die Hände zu Fäusten geballt. Dann öffnete er sie wieder und hatte dabei diesen Ausdruck auf seinem Gesicht, der besagte: »Ich müsste hier etwas unternehmen, aber was immer ich tun könnte, würde es nur noch schlimmer machen.«
Ich hasste natürlich die Vorstellung, ein Baby zu bekommen, hasste die Übelkeit, die Kopfschmerzen und die Appetitlosigkeit, aber es war stark und klammerte sich ans Leben. Eines Tages dann war ich draußen, um die Ziegen wegen ihres Felles zu kämmen, und da spürte ich, wie es sich bewegte. Diesen Moment hatte ich gefürchtet, wissend, dass er kommen würde, wissend, dass ich dieses Ergebnis einer Vergewaltigung in mir spüren würde. Voller Abscheu hatte ich darauf gewartet. Doch als es dann kam, war die Bewegung ganz weich. Winzig. Unschuldig. Völlig unschuldig. Wie konnte ich es hassen?
»Wenn du dieses Kind hasst«, hatte meine Mama gesagt, »dann hat er zwei Leben ruiniert.« Ich kniete mich in das Stroh des Ziegenstalls und weinte, erinnerte mich, nahm an, begann zu lieben. Und wie ich es liebte, mein Schätzchen, als es geboren wurde, liebte es mit allem, was in mir war, meine frischhäutige, nach Milch riechende, wunderschöne schwarzhaarige Larch, liebte jede Pore an ihr, von ihren runden Handgelenken, über die sich eine Falte zog, bis zu der unglaublichen Weichheit unter ihren Zehen. Gibt es etwas Weicheres als Füße, die noch nie den harten Boden gespürt haben? Auch meine Eltern liebten sie; Papa brauchte eine Weile, hatte meinetwegen Vorbehalte ihr gegenüber, aber
als sie ihm ihre kleinen Händchen entgegenhielt und grinste, wie hätte er da widerstehen können?
So ging es siebzehn Monate lang, und die einzige Veränderung bestand darin, dass nun die Frauen auf dem Markt ausspuckten, wenn ich an ihnen vorbeiging, und »Wandererhure« zischten, obwohl mein Papa die Geschichte überall erzählt hatte und sie alle wussten, warum ich das Baby hatte. In dieser Zeit wuchs ein Panzer um mein Herz. Drinnen waren Mama, Papa und Larch, und draußen waren alle Leute von Acton, der ganze Rest der Welt. Aber das war nur zum Schutz, damit mir das Ausspucken und die Verwünschungen nichts ausmachten. Damals hasste ich sie nicht.
Zu Beginn des Frühlings überfielen der Kriegsherr und seine Männer das Gebiet der Wind Cities, als Vergeltung für Angriffe, die von dort aus im vergangenen Jahr auf unser Gebiet geführt worden waren. So etwas geschah ungefähr einmal im Jahr, und die Leute hatten schon vergessen, wer damit begonnen hatte. Ich liebte die Frühjahrsangriffe, denn sie bedeuteten, dass alle Männer des Kriegsherrn weg waren und ich mich frei bewegen konnte. Es war die einzige Zeit im Jahr, in der ich wirklich frei war. In diesem Jahr jedoch brachten sie ein Fieber mit nach Hause, eine Seuche, die nach ihren Worten alle Wind Cities befallen hatte. Natürlich brachten die Männer des Kriegsherrn sie mit zurück, aber da war eine Wandererfamilie, die zur gleichen Zeit aus dem Norden in die Stadt gekommen war, ein junger Kesselflicker, seine Frau und ihre kleinen Zwillingssöhnchen, und die Leute in der Stadt machten sie dafür verantwortlich. Eines der Babys habe Fieber, sagten sie.
Es verbreitete sich schneller in der Gegend als jede andere Krankheit, die ich miterlebt habe. Ganze Familien starben binnen weniger Tage. Es war eine Krankheit, die Schwellungen verursachte, große schwarze Beulen unter
den Armen und in der Leistengegend, und wer von ihr befallen wurde, konnte nichts mehr bei sich behalten. Die Einwohner siechten dahin, und die Leute drängten sich hinter den Türen zusammen und beteten zu den einheimischen Göttern (aber wann hatten die sich jemals um Menschen gekümmert?). Wir taten das Gleiche, aber es war zu
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