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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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willkommen. Dann, urplötzlich, kehrten ihre Gefühle zurück. Sie sah, wie die frühlingshafte Dämmerung mit goldenen und lavendelblauen Dunstschleiern am Himmel endete. Sie nahm es wahr, nahm jedes Staubkörnchen in der Luft wahr und auch das raue Flussbett unter ihr, nahm mit ihren Fingern wahr, wie das Haar des Rotschimmels, aufgeraut durch Schweiß, beschaffen war, nahm den Geruch nach Pferd, Blut und Leder wahr. Sie sah, wie die kleinen
Wellen in dem Wasserlauf in dem verblassenden Sonnenlicht aufleuchteten und dunkler wurden. Sie war über ihren Schock hinaus in einen Zustand geraten, in dem alles lebend und voller Klarheit schien, voller Bedeutung … Hätte sie es doch nur verstehen können. Aber es gab nichts zu verstehen, außer dem toten Gewicht auf ihrem Schoß und keinem Gefühl außer Scham und Kummer.
    Mit einigen anderen Reitern stand Gorham am Ufer. Sie befreite sich aus ihrer Lage unter dem Kopf des Rotschimmels, konnte diesen aber nicht einfach unter die Wasseroberfläche sinken lassen. Natürlich war das lächerlich - er war ja bereits tot. Ertrinken würde er also nicht, würde nicht einmal das Wasser spüren, das sich über seinem Kopf schloss. Dennoch brachte sie es nicht über sich. Gorham kam ihr zu Hilfe, indem er den Sattel abnahm und ihn dem Rotschimmel unter den Kopf legte.
    Dann führte er sie zum Ufer und nahm sie in die Arme. Sie ließ es über sich ergehen wie auch das mitfühlende Schulterklopfen der anderen Reiter. Sie hatte kein Mitgefühl verdient.
    Einige der Reiter brachten Schaufeln herbei, und gemeinsam zogen sie den Rotschimmel aus dem Wasser und legten ihn in ein Grab hinein, das sie schon ausgehoben hatten, als Bramble noch apathisch im Wasserlauf gesessen hatte. Die Blasen an den Händen der anderen störten Bramble, weil sie die ihren hätten sein sollen, aber sie ließ auch diesen Verlust über sich ergehen, weil eine Mörderin kein Recht hatte, ihr Opfer beizusetzen. Dagegen erlaubte sie es sich, seinen Kopf zu halten, als sie ihn aus dem Wasser zogen, und sie schaufelte das Grab selbst zu, lehnte es ab, als die anderen helfen wollten. »Geh mit Maude und mir heute Abend zurück«, sagte Gorham, doch sie schüttelte den Kopf und ging allein zum Cottage zurück.

    In Gedanken an ihren Verrat saß sie die ganze Nacht reglos da, wollte für immer hier sitzen bleiben. Im Rückblick wurde ihr klar, dass sie nur überlebt hatte, weil Gorham sie am nächsten Morgen aus dem Cottage zerrte und ihr ein neugeborenes Fohlen in die Arme drückte. Der warme, sich unruhig bewegende Körper zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, brachte sie wieder zurück in die Gegenwart. Sie fing an zu weinen, setzte das Fohlen ab, um sich die mit Blasen überzogenen Hände vor das Gesicht zu halten und roch den Rotschimmel wieder. Es war das letzte Mal, dass sie diesen Geruch wahrnehmen würde.
    Bramble half den ganzen Frühling den trächtigen Stuten bei der Geburt und auch im Sommer beim Decken der Stuten durch den Hengst. Meist arbeitete sie stumm, und Gorham ließ sie gewähren. Ein paarmal versuchte Maude, sie aufzuheitern, erkannte aber schließlich, dass sie dies nicht vermochte, und ließ sie in Ruhe. Tagsüber und den größten Teil der Nacht ging sie bei der Arbeit in Gedanken immer wieder jeden Augenblick mit dem Rotschimmel durch und jeden Moment seines Todes. Drei Jahre lang hatte sie sich an die Rennen geklammert, um sich vor dem Nebel zu schützen, vor dem Wissen, dass sie in dem Abgrund hätte sterben sollen, und drei Jahre lang war der Rotschimmel mit Freude ihr Partner gewesen. Nun war es vorbei.
    Eines Tages im Herbst, als die Wildgänse am Himmel entlangflogen, fiel ihr plötzlich der Fluch des Dämons wieder ein: Ungezügelt geboren und ungezügelt gestorben, und für diesen jungen Mann nicht tauglich. Nie wirst du einen Mann lieben. Damals war ihr dies wie ein fürchterlicher Fluch erschienen und nach dem Abgrund auch realistisch. Aber sie war ins Leben zurückgekehrt, und selbst angesichts des Todes des Rotschimmels machte das Leben keine Anstalten, sie wieder zu verlassen. Da war weder Nebel noch trübes
Glas. Sie fühlte alles scharf, sah alles lebendig und wünschte sich, es wäre anders.
    Wenn sie daran dachte, wie das Lebenslicht in den Augen des Rotschimmels verloschen war, musste sie an das Gesicht des Mannes des Kriegsherrn denken, als dieser zu Boden stürzte. Plötzlich schämte sie sich dafür, ihn getötet zu haben, schämte sich auch, sich zum Zeitpunkt des

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