Die Prophezeiung der Steine
Mondlicht endlos erstreckte und dessen Wasser so hell und silbern glänzte, dass ihr die Augen schmerzten.
Da meldete sich erneut Maryroses Stimme.
»Wirst du mir helfen?«
Sie hörte sich gar nicht verzweifelt an, sondern ruhig, sanft, und klang gleichmäßig. Doch unter der vertrauten, geliebten Stimme lag noch etwas anderes, ein Unterton, der in Maryroses Stimme mitschwang, wie Wind über Wellen streicht. Selbst im Traum wurde Bramble klar, dass es der See war, der zu ihr sprach. Aber ob es der echte See war oder nur der von ihr geträumte, verursacht von der Fremdheit ihrer Umgebung und Salamanders Erzählungen, wusste sie nicht.
»Natürlich helfe ich dir, wenn du Hilfe brauchst«, sagte Bramble.
War sie denn schließlich nicht deswegen hier? Sie merkte, dass sie schwer atmete, genau wie sie es tat, wenn sie ein Rennen bestritt. Sie hatte das gleiche Gefühl der Risikobereitschaft, die gleiche Hochstimmung, in die sie kam, wenn sie nur einen Schritt vom Tod entfernt war.
»Wirst du mir geben, was ich brauche?«, fragte die Stimme.
Brambles Herzschlag beschleunigte sich weiter, und sie hatte das Gefühl, dass ein falsches Wort den Traum und vielleicht mehr als nur ihn zerstören würde. Es war, als spreche sie zu den einheimischen Göttern, sie hatte das Gefühl, vor einem Abgrund zu stehen, das Gefühl, dass einem der Atem geraubt wird, wenn das, was man sagte, nicht das Richtige war.
»Du könntest dir einfach nehmen, was du brauchst«, sagte sie schließlich, wissend, dass es der Wahrheit entsprach, dass sie nichts besaß, was der See ihr nicht nehmen konnte, auch ihr Leben.
Maryroses Stimme lachte leise. »Nicht ohne zu fragen. So lautet die Abmachung. Wirst du geben?«
»Ja.«
»Ach.« Nun war es weniger Maryroses Stimme als vielmehr
ein sich verschiebender, gleitender Laut - weniger menschlich, schöner. »Und wirst du eines meiner Kinder werden?«
Ohne nachzudenken, schüttelte sie den Kopf, da sie tief in ihrem Inneren wusste, dass sie nicht hierhergehörte und auch nie gehören würde. Der See war absolut still und wartete auf ihre Antwort. Die gegen ihre Hütte schwappenden Wellen waren geräuschlos, der Wind hatte sich schlagartig gelegt. Der ganze See wartete. Bramble räusperte sich.
»Es wäre mir zwar eine Ehre, Lady, aber ich glaube, ich gehöre anderswohin.«
Die Wellen setzten wieder ein, der Wind hob ihr Haar sanft an.
»Das glaube ich auch. Kluges Kind, du hast noch einen weiten Weg vor dir, bevor du das Ziel deiner Reise erreicht hast.«
Plötzlich war es hell, noch vor dem Morgengrauen, und Bramble lag unter ihrer Decke in einem klaren grauen Licht; die Luft draußen war so kalt, dass ihr die Nasenspitze schmerzte. Sie lag einen Moment staunend da. Dann hörte sie Salamander ihren Namen rufen, während sein Boot gegen ihre Stufe vor ihrer Tür schlug.
»Zeit zum Aufbruch, hübsche Reiterin«, sagte er, als er den Kopf durch die Tür steckte. »Dein Boot wartet.«
Ash
Binnen weniger Tage setzte der Winter ein. Die letzten Blätter fielen von den Bäumen, der Frost verhärtete den Boden, es fiel stetig Schnee, und die Tiere wurden in die große Scheune gebracht, umgeben von dem Futter, das Mabry in diesem Jahr dort, statt in der kleinen Scheune, aufgestapelt hatte. »Wir müssen üben«, sagte er zu Gytha, als diese sich darüber beschwerte, dass sie sich durch das Heu zwängen musste, um die Hühner zu füttern.
Drei Wochen nach ihrer Ankunft, während des Frühstücks, bekam Elva die Wehen. Ash wurde losgeschickt, um die Hebamme aus den Häusern unten am Fluss zu holen.
»Das zweite auf der linken, nicht auf der rechten Seite - das gelbe Haus«, schnatterte Mabry drauflos, um dann wieder ins Schlafzimmer zurückzueilen.
Ash rannte, so schnell es ihm in dem Schnee möglich war, und rutschte und glitt im Schneegestöber den steilen Pfad hinab. Doch als die Hebamme erfuhr, weshalb er gekommen war, nickte sie bloß und machte sich in aller Ruhe daran, die Dinge, die sie benötigte, in ihre Tasche zu packen. Ash hüpfte ungeduldig von einem Bein auf das andere. Nachsichtig schaute sie ihn an und schüttelte den Kopf.
»Erstgeburt, die Wehen haben gerade erst eingesetzt - das wird noch Stunden bei ihr dauern, Junge.«
Dies bewahrheitete sich. Er folgte den drahtigen Beinen
der Hebamme den Pfad hinauf und wartete stundenlang im Wohnzimmer. Gytha war die Botin, kam immer wieder einmal heraus, um frische Handtücher zu holen oder einen heißen Ziegelstein für Elvas Rücken
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