Die Prophezeiung der Steine
stellen, wenn sie benötigt wurden. Sie hatte einen harten Kern, der neben Ash aus sechs Angestellten bestand, und konnte bei Bedarf auf etwa zwanzig weitere zurückgreifen. Von ihnen allen war nur Ash in ihrem Haus untergebracht. Das war, natürlich, Teil seines Lehrvertrags und nichts, dessen er sich hätte rühmen können. Doch jedes Mal, wenn die anderen nach Hause gingen und er mit ihr in ihr Haus zurückkehrte, erfüllte es ihn mit ein wenig Befriedigung.
Als Ash keuchend und schwitzend den Hof erreichte, waren die anderen sechs bereits angekommen. Aylmer war rotblond und blauäugig, hatte breite Schultern und ein wenig zu lange Arme. Er hatte Ash beigebracht, vollkommen reglos zu stehen, und war selbst der regloseste Mensch, den Ash je kennengelernt hatte. Er war schnell, wenn er sich bewegen musste, aber wenn er zum Stehen kam, rührte er sich nicht mehr. Dann war da noch Hildie, winzig klein und schnell, die ihn lehrte, Taschendiebe zu erkennen - vor allem, indem sie ihm beibrachte, selbst zu stehlen. Elfrida, die sich für gewöhnlich als Kellnerin ausgab und lange blonde Zöpfe und rosige Wangen hatte, hatte ihn einmal mit
einem einzigen Schlag ihres Stockrapiers rückwärts durch ein Fenster katapultiert.
Und dann waren da noch die drei anderen, große Gestalten, einander ähnlich, hellblond und mit vernarbten, finsteren Gesichtern. Ihre letzte Anstellung war die von Fäkalienschlammträgern gewesen, und man kannte sie, alle zusammen, als die Gebrüder Dung. Ash konnte sie nie auseinanderhalten, und niemand sprach sie je mit ihrem richtigen Namen an. Das schien ihnen nichts auszumachen, und da sie es vorzogen, gemeinsam zu arbeiten, war der Befehl an einen gleichzeitig ein Befehl an alle drei. Sie waren zwar langsamer als die anderen mit dem Knüppel, aber dafür so stark, dass sie nur einen Schlag benötigten, um einen Widersacher bewusstlos zu schlagen.
Sie übten den ganzen Morgen über Stockkampf, bis Ash vor Hunger und Müdigkeit der Kopf dröhnte und ihn nacheinander jeder der Gebrüder Dung verprügelte. Sie grinsten, alle mit demselben Grinsen, und kehrten ihm verächtlich den Rücken zu. Er war zu müde, um auch nur wütend zu sein. Dann ließ ihn Doronit essen.
Sie ging voran ins Wohnzimmer. In ihr Zimmer. Im Gegensatz zu den leuchtenden Farben, mit denen die meisten Turviter ihre Häuser strichen, bildeten die cremefarbenen Wände lediglich eine Grundlage für die anderen Farben im Raum. Margolinläufer auf dem Boden, Tauschware, die von weither kam, von jenseits der Wüste und der Berge, brachten erdfarbene Töne in den kühlen, abgedunkelten Raum. Blaue, mit dunkelgrünen Schmetterlingen bestickte Seidenvorhänge schmückten das Fenster. Auf dem Hochregal zur Linken stand eine Reihe dazu passender Gläser - durchsichtiges Glas im Wert des Lösegelds eines Kriegsherrn -, unter denen eine Bronzelampe leuchtete, um ihren mehrfarbigen Glanz zu unterstreichen.
Eine Decke aus indigofarbenem Leinen lag in der Mitte des Tischs, der für ein feierliches Essen gedeckt war; zwei Messer, zwei Löffel, ein langer, löffelartiger Gegenstand mit einer schmalen Mulde an seinem Ende, wie eine winzige Schöpfkelle. Statt eines Schneidebretts aus Holz gab es glasierte Keramikteller, und in einem Steinguttopf befand sich ein Stück Seeschwamm.
»So. Wir gehen in die nächste Phase«, sagte Doronit. »Damit du von größtem Nutzen sein kannst, musst du dich deinen Kunden anpassen können. Setz dich.« Sie hob die winzige Schöpfkelle auf. »Damit isst man Markknochen.«
Einen Monat später wischte sich Ash Finger und Mund sorgsam mit einem Schwamm ab und legte ihn dann wieder zurück in die Schüssel.
Der Stadtdirektor würde eine Rede halten. Ash veränderte seine Position auf seiner Bank so, dass er sowohl in den Raum als auch auf den Tisch schauen konnte. Der Rede selbst schenkte er nur wenig Gehör, sondern verwandte seine ganze Aufmerksamkeit darauf, den Raum nach möglichen Problemen abzusuchen. Es handelte sich um den Hauptsaal des Bürgerhauses, der eine vergoldete Decke und an den Wänden riesige gusseiserne Kerzenleuchter aufwies. Die Tische waren mit Steingut und Glaskelchen gedeckt. Räume wie diesen hatte Ash zwar schon oft gesehen, wenn seine Eltern bei Festen aufgetreten waren, doch hätte er sich niemals vorstellen können, sich selbst als Gast in einem solchen Saal wiederzufinden. Nun, Gast war er vielleicht nicht gerade, denn er musste hier ja arbeiten. Doch er setzte sich an den
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