Die Prophezeiung der Steine
zuckte mit den Schultern. Da mischte sich die Juwelierin ein und schaute von dem Vergrößerungsglas auf, das sie über das Auslagekästchen mit den Rubinen gehängt hatte. »Weil sie beim letzten Mal damit gedroht haben, ihm die Eier abzuschneiden, wenn er das erstklassige Eisenerz, für das sie bezahlt haben, mit zweitklassigem austauscht.«
»Ach so.« Hildie nickte wissend. »Und nun hat er Angst, sie versuchen es dieses Mal wirklich und stellen fest, dass er gar keine hat, stimmt’s?«
Sie lachten alle, sogar der nervöse Rubinverkäufer.
»Alles in Ordnung«, sagte die Juwelierin.
Sie verfrachtete die Edelsteine in ihre Kassette und schob diese beiseite. Dann reichte sie einen Geldbeutel herüber.
Der schnurrbärtige Verkäufer nahm den Beutel entgegen und holte nun, da sich mit der Bezahlung der Juwelen seine
nervöse Anspannung aufgelöst hatte, mit einer schwungvollen Bewegung etwas aus einer Tasche. »Das ist etwas Besonderes«, sagte er. »Einzigartig.«
Er breitete es auf der Samtauslage der Juwelierin aus - eine große Mantelbrosche, die in kunstvoller Metall- und Emailarbeit einen Schild nachahmte. In Form von Herzen, vielleicht auch Gesichtern, gebogener Bronzedraht umgab einen zentrischen Kreis, aus dessen Mitte drei konkav gewölbte Emailleplatten hervortraten. Was sollten sie darstellen? , fragte sich Ash. Klauen, Vögelköpfe, Sicheln? Die Brosche hatte etwas an sich, das ins Auge sprang. Auf den ersten Blick wirkte sie ruhig, ausgewogen, hübsch; auf den zweiten war sie gefüllt mit bedrohlichen Symbolen in einem wirbelnden Durcheinander. Beunruhigend.
»Sie ist alt«, sagte Ash und trat vor, um sie besser sehen zu können.
»Uralt«, sagte der Mann und zwirbelte sich dabei den Schnurrbart. »So alt wie die Domänen.«
»Ich handele mit Edelsteinen«, sagte die Juwelierin verächtlich. »Das hier ist nicht einmal Gold, sondern bloß Bronze.«
»Sie hat angeblich …«, der Mann legte eine dramaturgische Pause ein, »… Acton gehört.«
»Und meine Großmutter lebt noch und tanzt jeden Abend im Drunken Sailor den Hornpipe«, entgegnete die Juwelierin.
»Nein, wirklich! Ich habe sie im Westen erstanden, in der Nähe der Gegend, wo Actons Leute zuerst über die Berge kamen. Er hat sie dem Vorfahren einer Frau gegeben.«
»Warum?«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Weil sie eine gute Nummer war, schätze ich. Bei Acton drehte es sich doch gewöhnlich immer um so etwas, oder nicht?«
»Und diese Frau hat sie dir dann gegeben?«, fragte die Juwelierin. »Weil du eine gute Nummer warst?«
Er schnaubte, und dabei zuckte sein Schnurrbart. »Weil der Kriegsherr dort ein echter Mistkerl ist und sie ihre Steuern bezahlen musste. Aber wenn du nicht interessiert bist, dann nehme ich sie wieder mit.«
»Sie mag ja alt sein, aber sie passt nicht zu meinem Angebot - ob sie nun Acton gehört hat oder nicht. Ich nehme nur die Rubine, danke.«
Der Mann wandte sich Ash und Hildie zu. Während der gesamten Zeit hatte Hildie ihren Blick nicht von der Stra ße abgewandt.
»Was ist mit euch beiden?«
»Bin an nichts interessiert, was Acton gehört hat«, sagte Hildie mit ausdrucksloser Stimme. Ash sah, dass der Mann Hildies Akzent einer Wandrerin bemerkte und daraufhin ein höhnisches Lächeln aufsetzte.
»Und was ist mit dir, Bursche?«
»Er ist ein Lehrling«, fiel ihm Hildie ins Wort. »Er könnte sich nicht einmal eine nachgemachte Bronzebrosche leisten.«
»Schade«, sagte der Mann.
»Ja«, sagte Ash, dessen Blick nach wie vor auf der gebogenen Bronze lag. »Schade.« Er fühlte sich von ihr angezogen, hätte sie in die Hand nehmen und mit den Fingern über die verworrenen Schnörkel gleiten wollen. Und wenn sie nun wirklich Acton gehört hatte? Dem Mann, der in dieses Land eingefallen war und Ashs Volk enteignet hatte, ihm das Land geraubt und sie zu Wanderern gemacht hatte. Dem Mann, der alles verändert hatte. Dem ersten Kriegsherrn.
Jedes zweite alte Lied handelte von Acton - seinem Mut, seiner Fähigkeit zu führen, seinem Humor und natürlich
seinem Liebesleben, das allem Ermessen nach herausragend gewesen sein musste. Bei den Bewohnern der Domänen spielte er eine überlebensgroße Rolle, umso mehr noch vielleicht, weil niemand wusste, was mit ihm geschehen war. Eines Tages war er in der Nähe der Western Mountains aus dem Lager geritten und verschwunden. Der Legende nach waren seine letzten Worte gewesen: »Ich bin wieder zurück, bevor ihr mich braucht.« Und eine erstaunliche
Weitere Kostenlose Bücher