Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
Vom Netzwerk:
jenes Abends vor Augen trat. Es war der Augenblick, als Hildie die Spitze ihres Messers dem Jungen an die Kehle gedrückt und Martine dabei fragend angeschaut hatte. Wenn Martine gesagt hätte »Töte ihn!«, was hätte Hildie getan? Er schreckte vor dem Gedanken zurück, wollte sich nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, an Hildies Stelle zu sein. Dennoch kehrte der Gedanke stets zurück, während der Übung mit dem Knüppel, während seiner Läufe entlang der Meeresklippen, während der Nächte. Wurde das von Schutzwachen erwartet? Zu töten, wenn der Kunde es befahl?
    Es war Herbst. Die Tage waren hell und frisch, das Meer leuchtete wie immer zur Festzeit ultramarin und schlug bei jeder Flut höher gegen die Klippen. Es schien eine Zeit der Klarheit und des Lichts zu sein. Doch Ash musste immer wieder an diesen von Gelb und Blau geprägten Raum denken.
    Auch über den Jungen mit den dunklen Augen und der glatten Haut machte sich Ash Gedanken. Es waren Augen wie die seinen. Ash schlief schlecht, und wenn er schlief, dann träumte er von Doronit, die lächelnd neben ihm stand, während er den Jungen tötete. Am Abend des Festes
war er nervös und konnte sich nicht konzentrieren. Doronit schickte ihn mit einem derart finsteren Blick zum Haus der Steinedeuterin, dass ihm das Herz in die Hose rutschte.
    »Also los dann, sieh zu, dass du diese Geister wieder loswirst. Komm hinterher so schnell du kannst ins Bürgerhaus.«
    Sie hatte sich für das Fest zurechtgemacht, hatte sich das Gesicht mit teurem Silber bemalt, trug ein blasses, wallendes Kleid. Sie sah wunderschön aus, dachte er und starrte sie hilflos an. Als sie ihm mit der Hand über den Arm strich, bekam er eine Gänsehaut, und ihm brannten die Augen.
    »Komm bald«, sagte sie.
    Auf dem Weg zum Haus von Martine ärgerte er sich darüber, dass er nicht mit Doronit gehen konnte. Ein brennendes Verlangen begleitete ihn, und es war nicht abzusehen, wann er davon erlöst würde. Na schön , dachte er. Wenn er bei Martine fertig war, würde er ein Freudenhaus aufsuchen und etwas dagegen unternehmen. Wenn er schon Doronit heute Abend nicht haben konnte, dann eben jemand anders. Sie musste ja nichts davon erfahren. Dann dachte er an all die Dinge, mit denen sich Doronit auskannte, ohne dass man damit rechnete. All die Leute, die ihr Informationen verkauften oder eine Gefälligkeit schuldeten. Sie würde es herausfinden. Und was dann? Entweder würde sie ihn auslachen oder wütend werden - und er wusste nicht, was schlimmer war.
    Die Straßen waren voller Menschen, die sich vergnügten, als Geister verkleidet, weiße Kleider tragend oder, falls sie sich dies erlauben konnten, silberne. Es war eine Stadt glücklicher Geister. Ash hatte keine Lust gehabt, sich zu verkleiden. Das wäre nicht besonders respektvoll gegenüber den Geistern gewesen, die zu treffen er im Begriff stand.
Natürlich, darum ging es bei dem Fest, das am Jahrestag von Actons Sieg über die Stadt veranstaltet wurde - den Geistern zeigen, dass niemand Angst vor ihnen hatte.
    Er hatte schon einmal an dem Fest teilgenommen, als er sieben gewesen war und seine Eltern nach Turvite gekommen waren, um vor den Kaufleuten aufzutreten. Er konnte sich noch lebhaft an jenen Abend erinnern. Es hatte auf ihn so gewirkt, als sei die ganze Stadt voller Geister gewesen. Dass manche silbernen Schatten in Wirklichkeit kostümierte Menschen waren, hatte er nicht begriffen. Ebenso wenig hatte er verstanden, warum er durch manche hindurchschauen konnte und durch andere nicht, und warum manche so viel Lärm machten, lachten und das Lied Fly Away Spirit sangen, während andere stumm vor sich hintrieben und sich in Ecken zurückzogen, wenn die Feiernden vorbeistürmten.
    Er erinnerte sich daran, dass seine Eltern an jenem Morgen im Hof des Zunfthauses geübt hatten. Seine Mutter hatte The Taking of Turvite gesungen, während sein Vater sie auf der Flöte begleitete.
    Acton hat sie alle getötet, sang sie
Alle auf den Straßen von Turvite.
Ihre Geister erhoben sich mit stummem Schrei,
Ihre Geister erhoben sich, um ihre Götter anzuflehen.
Die Gesichter des Todes schlichen durch die Straßen
von Turvite,
Die Gesichter des Todes verfolgten die Mörder.
    Danach hatte sie mit Alured, ihrem Trommler, den Refrain angestimmt und dabei so den Rhythmus vorgegeben, dass Ash dabei im Takt von einem Fuß auf den anderen sprang.
    Und die Mörder lachten!
Ja, sie lachten!
Und Acton lachte am lautesten.
    Er hatte mitsingen wollen,

Weitere Kostenlose Bücher